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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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unter einer Glasglocke. Sooft ich nach einem mißlungenen Versuch die übelriechenden Rückstände in den Ausguß schüttete und mich wieder an den Schreibtisch setzte, fiel mein Blick auf den kleinen, dunklen Würfel, und dieser wurde für mich der Ansporn zu erneuter Arbeit.
    Es ist ein sehr schmerzlicher Augenblick, wenn ein junger Mensch begreift, daß sich eine Entdeckung durch bloße Willenskraft und helle Begeisterung auch nicht um einen Millimeter vorantreiben läßt. Als die Zahl meiner mißlungenen Versuche die Tausend überschritt und die Laboranten, die immer mehr Körbe mit verkohltem Gummi hinausschafften, sich bereits vielsagend zuzwinkerten, da erinnerte ich mich an die Nordsee. Ich sagte Ihnen ja bereits, daß sich die ganze Sache in Hamburg zutrug.“
    Bei diesen Worten wandte sich Rainer zur Seite, dem Leuchtschirm des Televisors zu und zeigte mit einem Stäbchen, mit dem er bis jetzt gespielt hatte, auf das Abbild der Erde. Die nördliche Halbkugel, obwohl durch Wolken verschleiert, trat hell aus dem dunklen Hintergrund hervor. Ganz am Rande der Scheibe, zwischen dem Arm der Skandinavischen Halbinsel und dem dunklen Massiv Europas, drang das Meer ein, und Rainers Stäbchen glitt bestimmt auch über die Stelle, wo an der Basis der Halbinsel Jütland die Stadt Hamburg liegt. Das erstemal in seiner Geschichte bediente sich der Mensch der Erdkugel aus einer Entfernung von Tausenden von Kilometern als Landkarte. Diese einfache Geste Rainers riß uns plötzlich aus den Erinnerungen und brachte uns zurück in die Tiefen des interplanetaren Raumes. Unterdessen setzte der Chemiker, der eine ganze Weile mit dem Stäbchen über den Leuchtschirm gefahren war, als bereitete ihm dies ein kindliches Vergnügen, seine Erzählung fort.
    „Ich begann das Meer und den Hafen aufzusuchen, um meinen heißen Kopf zu kühlen. So wie ich früher der Meinung gewesen war, alles zu wissen, wie ich glaubte, daß mich nur noch ein Schritt von der Tür trennte, hinter der die Lösung des Rätsels zu finden sei, so sicher schien es mir nun, daß ich nichts wußte, ja noch schlimmer, daß aus meinem Vorhaben nichts werden könne, daß ich, mit einem Wort, zu dumm dazu sei.
    Es ging auf den Herbst zu, und die See war ziemlich bewegt. Durch das ölige, dunkle Wasser des Hafens tuckerten die Pinassen, draußen auf dem Meer zogen die großen Dampfer ihre Bahn. Von Zeit zu Zeit tauchten auch die Segel von Fischkuttern auf. Ich wanderte weit hinaus und blieb lange am äußersten Ende der Mole stehen, so daß ich die Aufmerksamkeit der Wachposten auf mich zog, die mich wohl für einen unentschlossenen Selbstmörder hielten. Ich hatte aber meinen Kopf so gerammelt voll von Silikaten und Polystyrenen, daß ich weder die Posten noch das Meer oder die Schilfe sah. Das heißt, ich glaubte sie nicht zu sehen. Ich war wie ein Kind, dem man ein durcheinandergeworfenes Puzzlespiel gegeben hat, das es beim besten Willen nicht wieder zusammensetzen kann. Ich wußte nicht, wie ich das eine an das andere fügen sollte, und nur so, zum Teil aus Gewohnheit, zum Teil aus Verzweiflung, setzte ich im Kopf bald dieses, dann wieder ein anderes Fragment zusammen; aber ich mühte mich vergeblich ab: Es war alles nicht das, was ich suchte.
    Ich lief bei den Professoren herum und löcherte sie mit Fragen, bis einer von ihnen die Geduld verlor und mich anfuhr: ,Also, was ist los, soll ich es vielleicht für Sie machen?‘ – Auf diese Weise wurde er mich für immer los und erlöste auch die anderen von mir.
    Ich kehrte wieder an das Meer zurück. Heute weiß ich es – damals wußte ich es nicht –, daß ich stets erst dann nach Hause ging, wenn eine bestimmte Fischfangflotte einlief, darunter ein kleiner Segler, der schneller war als die anderen Kutter. Er hatte eine sehr merkwürdige Takelage. Einige Male blieb ich, obwohl es bereits dunkelte, noch draußen, als wartete ich auf ihn. Ich verfolgte seinen Weg durch die Wellen mit einem gewissen, mir selbst unverständlichen Interesse; denn ich verstehe nichts vom Segeln, und seine eigentümliche, beinahe flügelförmige Segelstellung sagte mir nichts, was ich mit meinen Angelegenheiten bewußt in Verbindung hätte bringen können. Gleichwohl war das Auftauchen dieses kleinen Schiffes für mich jedesmal das Signal, daß mein Spaziergang auf der Mole zu Ende sei.
    Eines Abends stand ich wieder an der betonierten Spitze der Mole und wartete, als es auf einmal zu regnen begann. Der Wind wurde zum Sturm. Es war

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