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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Erde fing an, selbst ein Teil des Himmels zu werden, ein Stern – zuerst eine riesige, drei Viertel des Gesichtsfeldes bedeckende Kugel –, dann flachte sich ihre Wölbung scheinbar ab, das Leuchten wurde matter, und um sieben Uhr morgens fand bereits die ganze weißlich trübe Scheibe mit den dunklen Flecken der Ozeane im Schirm des Fernsehgerätes Platz.
    Unterdessen näherte sich die Rakete dem Mond. Anfangs sah es aus, als würden wir an seiner rechten Seite vorbeifliegen. Ich ließ meine Aufzeichnungen liegen und beobachtete nun, wie sich der Mond im Schirm des Televisors verschob, so daß der Bug der Rakete schließlich auf den Nordpol gerichtet war.
    Ich ging in die Zentrale, wo ich Soltyk und Arsenjew traf. Sie stellten vor dem Leuchtschirm eine riesige Kamera mit einem Teleobjektiv auf. Der „Kosmokrator“ sollte in einer Entfernung von knapp fünfhundert Kilometern am Mond vorbeifliegen, und bei dieser Gelegenheit wollte der Astronom eine Reihe von Aufnahmen machen.
    Von Viertelstunde zu Viertelstunde vergrößerte sich die Scheibe des Mondes und verstärkte sich der stechende, quecksilberne Glanz, der an die kalte Glut einer Quarzlampe erinnerte. Kurz nach elf Uhr begannen sich die dunklen Flecke und Streifen auf der Oberfläche zu zergliedern. Bald hoben sie sich immer klarer und schärfer als ringförmige Bergketten mit zentralen vulkanischen Kegeln vom Hintergrund ab. Es war, als verdrängte die weißglühende Halbkugel des Mondes den schwarzen Himmel aus dem Leuchtschirm.
    Um zwei Uhr hatten wir uns ihr bereits auf dreißigtausend Kilometer genähert. Da die Antriebsmotoren wieder ständig arbeiteten, machte sich die Anziehungskraft des Mondes recht unangenehm bemerkbar. Die Schwere unseres Körpers und aller Gegenstände war einem raschen Wechsel unterworfen, was sich bei uns als ein zeitweiliges Schwindelgefühl äußerte. Als die Entfernung nur noch etwas über zwanzigtausend Kilometer betrug, schaltete Soltyk, der für kurze Zeit die Motoren abgestellt hatte, die Kreiselbewegung des Geschosses aus. Da gab es eine andere Überraschung. Ich wollte mich auf die Lehne des Sessels stützen – und erhob mich plötzlich in die Luft; denn mein Körper hatte nur noch den sechsten Teil des normalen Gewichtes. Ich beachtete jedoch diese Erscheinung kaum, da ich von dem überwältigenden Anblick gefesselt war, der sich dort unten bot. Während man am Morgen die Bewegung der Rakete überhaupt nicht bemerkt hatte, machte der Flug jetzt, da uns vom Mond nur noch einige Tausend Kilometer trennten, den Eindruck eines furchtbaren Absturzes.
    Wir befanden uns über dem Altaigebirge. Es sah aus wie versteinerter Straßenschmutz mit darin erstarrten Hufspuren. Diese Spuren waren in Wirklichkeit Krater von vielen Hundert Kilometern Durchmesser. Im Gesichtsfeld gab es aber nichts, was gestattet hätte, ihre wirkliche Größe vergleichsweise abzuschätzen. Die Motoren schwiegen. Von der erreichten Geschwindigkeit weitergetragen, folgten wir der Richtung der Tangente und sollten wie eine abgeschossene Gewehrkugel ganz dicht am Rande des Mondes vorbeifliegen. Unsere Eigengeschwindigkeit summierte sich mit der Umdrehungsgeschwindigkeit des Mondes, und die Bewegung der Scheibe unter uns beschleunigte sich mit jeder Sekunde.
    Um zwei Uhr vierzig betrug die Entfernung nur noch eintausendeinhundert Kilometer. Plötzlich tauchten Bergformationen hinter dem Horizont auf, der sich als gigantischer Bogen nach beiden Seiten hin

    spannte; ihre Gipfel funkelten in der Sonne wie die weißglühenden Zähne einer Säge, die die Fläche unter uns zerriß, um nach einigen Minuten auf der anderen Seite des Horizontes zu verschwinden. Unheimlich war dieser tote Lauf der Kraterränder, deren rauhe Außenhänge im grellsten Sonnenlicht hervortraten, während ihr Inneres in undurchdringlichem Dunkel lag. Wenn man länger zusah, schwindelte einem. Dieses rasende Dahinhetzen steinerner Formen in der grenzenlosen, von tiefen Rissen und Spalten zerfressenen Wüste, dieses Chaos von Licht und Schatten zog einen wie ein Abgrund in die Tiefe. Überall an den Felshängen rund um die Kegel der Vulkane und auf der steinigen Ebene warfen blitzende Lavastreifen das Licht zurück.
    Wie uns der ununterbrochen arbeitende Radarhöhenmesser unterrichtete, hatte sich die Entfernung einige Minuten nach drei bis auf zweihundert Kilometer verringert. Nördlich von uns schob sich der Krater Tycho Brahe vorüber, mit seinem gigantischen, mehr als tausend

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