Der Präsident
Collegestudentin ein Ende gesetzt hatte, nur weil sie den Fehler beging, am helllichten Tage in ein Einkaufszentrum zu gehen, um sich Nylonstrümpfe und ein Paar neue Schuhe zu kaufen?
Kate rieb sich die Augen und band sich die Haare mit einem Gummiband von ihrem Schreibtisch zu einer Art Pferdeschwanz zusammen. Ihr Blick wanderte durch das kleine, überfüllte Büro. Überall im Zimmer stapelten sich Aktenberge, und zum unzähligsten Male fragte sie sich, ob es je besser werden würde. Natürlich nicht. Höchstens schlimmer, und sie konnte nur ihr Möglichstes tun, um wenigstens den Versuch zu machen, dem Blutvergießen Einhalt zu gebieten. Mit dem Tod von Roger Simmons jr. wollte sie beginnen, der mit seinen zweiundzwanzig Jahren einer der schlimmsten Gewohnheitsverbrecher war, mit denen sie sich je befasst hatte. Und das waren in ihrer noch kurzen Laufbahn bereits wahre Horden gewesen. Sie erinnerte sich an den Blick, den er ihr vor Gericht zugeworfen hatte. Das Gesicht des jungen Mannes hatte weder Reue noch Mitgefühl oder eine andere positive Regung erkennen lassen. Es drückte nur Hoffnungslosigkeit aus, und seine Lebensgeschichte, die sich wie der Albtraum einer Kindheit las, untermauerte diesen Eindruck. Aber das war nicht ihr Problem. Sie hatte genug andere Probleme.
Kate schüttelte den Kopf und sah auf die Uhr: schon nach Mitternacht. Da ihre Konzentration nachließ, stand sie auf, um sich noch Kaffee zu holen. Der letzte Staatsanwalt war vor fünf Stunden gegangen, das Reinigungspersonal vor drei. Auf Strümpfen ging sie den Flur hinab zur Küche. Wäre Charles Manson dieser Tage unterwegs, um sein Unwesen zu treiben, so wäre er einer der harmloseren Fälle; ein Amateur im Vergleich zu den Monstren, die heutzutage frei herumliefen.
Mit einer Tasse Kaffee in der Hand ging sie ins Büro zurück und hielt einen Augenblick inne, um ihr Spiegelbild im Fenster zu betrachten. Für ihre Arbeit spielte das Aussehen keine Rolle; Teufel noch mal, sie hatte seit über einem Jahr keine Verabredung gehabt. Doch sie konnte den Blick nicht abwenden. Sie war groß und schlank, an manchen Stellen wahrscheinlich sogar ein wenig zu dünn, aber sie joggte nach wie vor jeden Tag vier Meilen, während die tägliche Kalorienzufuhr beständig abnahm. Hauptsächlich ernährte sie sich von ungesundem Kaffee und Crackern, obwohl sie zumindest ihren Zigarettenkonsum auf zwei pro Tag eingeschränkt hatte und hoffte, mit ein bisschen Glück ganz aufhören zu können.
Kate war sich klar über den Raubbau, den sie ihrem Körper zumutete; die endlosen Stunden und den Stress, den sie in einen schrecklichen Fall nach dem anderen investierte. Doch was sollte sie tun? Kündigen, weil sie nicht wie die Frauen auf dem Titelblatt des Cosmopolitan aussah? Sie tröstete sich damit, dass deren Arbeit darin bestand, vierundzwanzig Stunden am Tag gut auszusehen, während sie damit beschäftigt war, sicherzustellen, dass Menschen bestraft wurden, die das Gesetz brachen. Aus welchem Blickwinkel sie es auch betrachtete, sie kam zu dem Schluss, dass sie mit ihrem Leben etwas weitaus Produktiveres anstellte.
Sie fuhr sich durch die Mähne; die Haare mussten geschnitten werden, aber woher sollte sie die Zeit dafür nehmen? Ihr Gesicht, stellte sie fest, hatte die vier Jahre mit neunzehnstündigen Arbeitstagen und zahllosen Prozessen noch einigermaßen gut überdauert. Aber vermutlich würde dies nicht so bleiben. Sie seufzte. Im College hatte sie stets die Aufmerksamkeit ihrer gesamten männlichen Kommilitonen auf sich gezogen – das reizvolle Ziel vieler Blicke, der Auslöser für schneller pochende Herzen und kalte Schweißausbrüche. Aber nun, da sie auf die Dreißig zuging, wurde ihr bewusst, dass ihr dieses Attribut, eine Gabe, die sie viele Jahre als selbstverständlich erachtet hatte, nicht mehr lange erhalten bleiben würde. Und wie bei so vielen Dingen, die man als selbstverständlich betrachtete oder als unwichtig abtat, wusste sie, dass sie die Fähigkeit vermissen würde, einen Raum durch bloßes Betreten in Schweigen zu versetzen.
Angesichts der Tatsache, dass sie während der letzten Paar Jahre verhältnismäßig wenig für ihr Aussehen getan hatte, war es bemerkenswert, wie gut sie sich gehalten hatte. Gute Gene, das war wohl der Grund; ein Glück für sie. Dann jedoch musste sie an ihren Vater denken, und sie kam zu dem Schluss, dass sie in Sachen Erbanlagen wohl doch nicht das große Los gezogen hatte. Ein Mann, der von anderen
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