Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
Mittellosen nicht verbessern, sondern im Gegenteil oft zu deren weiterer Verelendung beitragen. Der Finanzsektor erreichte nämlich, dass Studentendarlehen im Fall einer Privatinsolvenz von der Entschuldung ausgenommen werden: die Kreditgeber haben daher kaum Anreize sicherzustellen, dass die Hochschulen, für deren Besuch die Studenten Kredite aufnehmen, ihnen tatsächlich eine Ausbildung bieten, die ihnen später ein hohes Einkommen sichert. Unterdessen vereitelten gewinnorientierte private Hochschulen mit hoch bezahlten Führungskräften jegliche Versuche, höhere Standards durchzusetzen; damit hätten Hochschulen, die die sozial Schwachen und schlecht Informierten ausbeuten – indem sie ihr Geld nehmen, ohne ihnen eine Ausbildung angedeihen zu lassen, die sie in die Lage versetzte, die Kredite später aus ihrem Arbeitseinkommen problemlos zurückzuzahlen –, keinen Anspruch auf Kreditgewährung mehr gehabt. 23 Es ist vollkommen verständlich, dass ein junger Mensch, der sieht, wie die Schuldenlast das Leben seiner Eltern ruiniert, nur widerwillig ein Studentendarlehen aufnimmt. Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass so viele es dennoch tun, mit der Folge, dass der durchschnittliche Uni-Absolvent heute mehr als 25 000 Dollar Schulden hat. 24
Womöglich spielt bei der Abnahme der sozialen Mobilität, die sich langfristig negativ auf die Produktivität der USA auswirkt, noch ein weiterer Faktor eine Rolle. Aus Studien über den Bildungserfolg geht hervor,
wie wichtig die Förderung im Elternhaus ist. Die Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen müssen sich ihren Lebensunterhalt hart verdienen und immer mehr arbeiten, um über die Runden zu kommen. Dadurch bleibt für die Familie – und die Beaufsichtigung der Hausaufgaben – immer weniger Zeit. Familien müssen Kompromisse eingehen, und das betrifft auch die Investitionen in ihre Kinder (obwohl sie das vermutlich nicht so ausdrücken würden).
Der angebliche Zielkonflikt zwischen Gleichheit und Effizienz
Auf den vorangehenden Seiten habe ich dargelegt, dass die Ungleichheit – in all ihren Dimensionen – der US-Wirtschaft geschadet hat. Es gibt, darauf habe ich bereits hingewiesen, auch ein Gegen-Narrativ, das hauptsächlich von der politischen Rechten vertreten wird und das sich auf Anreize konzentriert. Nach dieser Sichtweise sind Anreize für eine funktionierende Wirtschaft unverzichtbar, und Ungleichheit ist die zwangsläufige Folge jedes Anreizsystems, da einige mehr produzieren werden als andere. Jede Umverteilungsmaßnahme schwäche entsprechend notwendigerweise die Anreize. Verfechter dieses Standpunktes behaupten auch, es sei falsch, sich auf die Ungleichheit der Ergebnisse zu fixieren, insbesondere in einem bestimmten Jahr. Das, worauf es ankomme, sei die Ungleichheit auf Lebenszeit, und noch wichtiger sei Chancengleichheit. Sie behaupten des Weiteren, Effizienz und Gleichheit seien gegenläufig – sinkt das eine, wächst das andere, und umgekehrt. Während die Menschen zu unterschiedlich großen Effizienzeinbußen bereit sein mögen, um im Gegenzug das Maß an Ungleichheit zu verringern, ist nach Auffassung der politischen Rechten in den USA der Preis für jede noch so geringfügige Angleichung der Lebensverhältnisse einfach zu hoch. Tatsächlich sei er so hoch, dass selbst die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen, insbesondere diejenigen, die von staatlichen Programmen abhängig sind, sehr wahrscheinlich eine Verschlechterung ihrer materiellen Lage in Kauf nehmen müssten, denn wenn sich das Wirtschaftswachstum verlangsame, sänken die Einkommen für alle, die Steuereinnahmen würden zurückgehen, was die Kürzung staatlicher Ausgaben zur Folge hätte.
Ich argumentiere dagegen in diesem Kapitel dahingehend, dass sich durch Abbau der Ungleichheit die Effizienz und Produktivität unserer Volkswirtschaft steigern lassen könnten. In diesem Abschnitt rekapituliere ich die wichtigsten Streitpunkte: Die politische Rechte sieht eine Volkswirtschaft mit vollständiger Konkurrenz, in der die private Vergütung der sozialen Rendite entspricht; wir sehen eine Volkswirtschaft, die durch Rent-Seeking und andere Verzerrungen gekennzeichnet ist. Die Rechte unterschätzt die Notwendigkeit staatlicher (kollektiver) Eingriffe, um das durchgängige Marktversagen zu korrigieren, und überschätzt
die Bedeutung finanzieller Anreize. Und infolge all dieser Irrtümer überschätzt die Rechte die Kosten einer progressiven Besteuerung und
Weitere Kostenlose Bücher