Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
Politikverdrossenheit unter den übrigen Wählern und verschafft dem Geld noch mehr Macht.
Entmachtung
Wir haben bereits gesehen, wie dank der ökonomischen Spielregeln, die die Politik festlegt, die Karten zugunsten des obersten einen Prozents gezinkt werden. Das Gleiche gilt für die politischen Spielregeln. Der Eindruck,
dass sie auf unfaire Weise festgesetzt werden – dass sie den ökonomischen Eliten unverhältnismäßig weitgehende Einflussmöglichkeiten einräumen, mit der Folge, dass deren wirtschaftliche Macht noch wächst – verschärft die Entfremdung von der Politik und ein Gefühl von Ohnmacht und Enttäuschung. Dieses Ohnmachtsgefühl erleben die weniger Privilegierten bei ihren Behördenkontakten immer wieder.
Die Entscheidung in dem Fall der konservativen Organisation Citizens United gegen die Bundeswahlkommission, in dem der Oberste Bundesgerichtshof der USA im Jahr 2010 unbegrenzte Wahlkampfspenden durch Unternehmen weitgehend absegnete, stellte einen Meilenstein bei der Entmachtung des amerikanischen Durchschnittsbürgers dar. 34 Das Urteil erlaubt Unternehmen und Gewerkschaften, bei der Unterstützung von Kandidaten und politischen Anliegen bei Wahlen im gleichen Umfang von der »Redefreiheit« Gebrauch zu machen wie Einzelpersonen. Da Großunternehmen ungleich finanzkräftiger sind als die große Mehrheit der amerikanischen Privatpersonen, droht das Urteil eine Klasse von superreichen politischen Wahlkämpfern mit einem eindimensionalen politischen Interesse – optimaler Selbstbereicherung – zu schaffen.
Philosophisch lässt sich die Entscheidung des Gerichts kaum rechtfertigen. Aktiengesellschaften sind juristische Personen, die für einen spezifischen Zweck gegründet und durch vom Menschen gemachte Gesetze mit spezifischen Rechten und Pflichten versehen wurden. Sie genießen zum Beispiel den Vorteil der Haftungsbeschränkung, trotzdem kann es in manchen Fällen zu einer Durchgriffshaftung kommen, auch kann individuelles Verschulden bei Straftaten geahndet werden. Aber Aktiengesellschaften sind keine Menschen, und sie haben keine unveräußerlichen Rechte. Der Oberste Gerichtshof schien anderer Meinung zu sein, als er ihnen freie Hand ließ, ihre Macht nach Belieben auszuspielen und unser politisches System nach ihrem Gutdünken zu gestalten.
Die Entscheidung des Gerichts, das das Gut der Redefreiheit gegen das Gut einer ausgewogenen Demokratie abwägen musste, hat mit Letzterer kurzen Prozess gemacht. Es ist allgemein anerkannt, dass Korruption vorliegt, wenn eine Person oder Organisation eine Geldzuwendung (Unterstützung) davon abhängig macht, dass ein Kandidat ihr eine Gefälligkeit erweist (einen Gesetzentwurf unterstützt). Korruption untergräbt den Glauben an unsere Demokratie. Aber zwischen dem, was man unter Korruption versteht, und dem, was tatsächlich geschieht,
besteht kein großer Unterschied – Kandidaten, die beispielsweise einen Gesetzentwurf unterstützen, der einen Mineralölkonzern von der Haftung für die Schäden einer Ölkatastrophe freistellt, werden mit Spenden bedacht, und der Kandidat weiß, wie alle anderen auch, dass der Spendenhahn sofort zugedreht wird, wenn er anders abstimmt. Es gibt keine formale Gegenleistung, aber die Wirkung ist die Gleiche. Und, was am wichtigsten ist, die Durchschnittsbürger nehmen das genauso wahr, so dass dieses Verhalten den Glauben an unsere Demokratie kaum weniger erschüttert als unverhohlene Korruption. 35
Die Entscheidung des Gerichts spiegelte in gewisser Weise nur ein weiteres Mal den Erfolg der Finanzwelt bei der Schaffung eines Systems wider, das nach dem Motto »ein Dollar – eine Stimme« funktioniert: Die Superreichen hatten mit Erfolg die Wahl von Politikern arrangiert, die ihrerseits Richter ernannten, die Unternehmen das Recht zur unbegrenzten finanziellen Unterstützung ihrer Interessenvertreter in der Politik zuerkannten. 36
Die politischen Spielregeln können Menschen ebenfalls, und vollkommen zu Recht, das Gefühl vermitteln, dass sie entmündigt werden. Die Manipulation von Wahlbezirksgrenzen kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Stimme eines Bürgers nicht zählt: Dabei werden die Grenzen der Wahlbezirke so gezogen, dass das Ergebnis der Wahl praktisch im Vorhinein feststeht. Der Filibuster – das Recht auf unbegrenzte Redezeit – verleiht einer Minderheit von Senatoren eine unverhältnismäßige Machtfülle. In der Vergangenheit wurde diese Taktik der Zermürbungsrede besonnen
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