Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
ständig Urteile, die auf Voreingenommenheit beruhen. Die Forschung bemüht sich um Erklärungen, wodurch diese Verzerrungen und Fehlwahrnehmungen zustande kommen.
Die Wahrnehmung von Fairness und die Politik der Ungleichheit
Ich habe bereits erwähnt, dass unsere Wahrnehmung von Bezugsrahmen beeinflusst wird, und daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich die heutige politische Auseinandersetzung vor allem darum dreht, in welchem Kontext man die Ungleichheit setzt. Wie Schönheit liegt auch Fairness zumindest zum Teil im Auge des Betrachters, und die Reichen wollen sicherstellen, dass das heutige Maß an Ungleichheit in den Vereinigten Staaten so gedeutet wird, dass es fair oder zumindest akzeptabel wirkt. Denn wird es als unfair wahrgenommen, dann kann das nicht nur die Produktivität am Arbeitsplatz beeinträchtigen, sondern auch zu gesetzlichen Maßnahmen führen, die der Ungleichheit entgegenwirken.
In der politischen Auseinandersetzung konzentriert sich der öffentliche Diskurs auf Effizienz und Fairness, wie immer der realpolitische Ausdruck der Sonderinteressen aussehen mag. In den Jahren, in denen ich selbst – als Vorsitzender des Wirtschaftswissenschaftlichen Beirats des Präsidenten – ein öffentliches Amt bekleidete, hat natürlich kein einziger Industrielobbyist, der um Subventionen warb, dies mit dem unverhohlenen Wunsch getan, sich persönlich zu bereichern. Vielmehr formulierten die Bittsteller ihre Wünsche so, dass viel von Fairness und Nutzen, den andere davon hätten (mehr Arbeitsplätze, hohe Steuereinnahmen), die Rede war. Das Gleiche gilt für die politischen Weichenstellungen, die maßgeblich zum weiteren Auseinanderdriften der Vermögensverhältnisse in den Vereinigten Staaten beitrugen – sowohl für jene, die die Ungleichheit der Markteinkommen förderten, als auch für jene, welche die Rolle des Staates bei der Bekämpfung der Ungleichheit schwächten. Der Kampf um den Bezugsrahmen konzentriert sich zunächst darauf, wie wir die Ungleichheit wahrnehmen – wie groß sie ist, welche Ursachen sie hat und wie sie sich rechtfertigen lässt.
Vorstandschefs, insbesondere im Finanzsektor, haben versucht, andere (und sich selbst) davon zu überzeugen, dass sich eine hohe Vergütung mit dem (vergleichsweise) größeren Beitrag des Einzelnen zum Allgemeinwohl rechtfertigen lässt und dass diese notwendig sei, um Leistungsträger dazu zu motivieren, weiterhin solche Beiträge zu liefern. Aus diesem Grund wird diese Form der Vergütung leistungsorientierte Vergütung genannt . Aber die Krise zeigte allen, was die wirtschaftswissenschaftliche
Forschung schon längst nachgewiesen hatte: Das Argument war ein Scheinargument. Wie in Kapitel 4 dargelegt, ist das, was leistungsorientierte Vergütung genannt wird, alles andere als das, denn die Vergütung war hoch, wenn die Leistung gut war, und sie war es auch dann, wenn die Leistung schlecht war. Nur der Name änderte sich. Bei schwacher Leistung sprach man lieber von »Treueprämie«.
Wenn man meint, dass die Probleme der Armen weitgehend hausgemacht sind und sich diejenigen, die Sozialhilfe beziehen, tatsächlich auf Kosten der übrigen Gesellschaft ein angenehmes Leben machen (wie es die »Sozialschmarotzer«- und »Sozialhilfebetrüger«-Kampagnen in den achtziger und neunziger Jahren suggerierten), dann kann man ihnen ohne Bedenken die Unterstützung streichen. Wenn man glaubt, dass die Spitzenverdiener deshalb so hohe Einkommen beziehen, weil sie einen so großen Beitrag zur gesellschaftlichen Wohlfahrt leisten – der sogar so groß sei, dass ihre Vergütung nur einen Bruchteil davon abdecke –, dann scheint ihre Bezahlung gerechtfertigt zu sein, insbesondere wenn ihre Beiträge angeblich das Ergebnis harter Arbeit und nicht bloßer glücklicher Zufälle sind. Andere Ideen (über die Bedeutung von Anreizen und leistungsorientierter Vergütung) legen nahe, dass der Abbau des Einkommensgefälles mit einem hohen Preis verbunden wäre. Wieder andere (die Trickle-down-Theorie) machen uns glauben, dass ein hohes Maß an Ungleichheit im Grunde kein großes Übel sei, da alle finanziell bessergestellt seien, als sie es in einer Welt mit ausgeglicheneren Vermögensverhältnissen wären.
Die andere Seite in diesem Kampf vertritt entgegengesetzte Überzeugungen: den grundsätzlichen Glauben an den Wert der Verteilungsgerechtigkeit, der sich in Analysen wie jenen ausdrückt, die in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellt wurden und
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