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Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)

Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)

Titel: Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Stiglitz
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eingesetzt. Es bestand ein unausgesprochenes Einvernehmen darüber, dass sie nur bei Anliegen von überragender Bedeutung angewandt werden sollte: Ironischerweise wurde diese Taktik am häufigsten benutzt, wenn es darum ging, die Verabschiedung von Bürgerrechtsgesetzen zu verhindern, die das Wahlrecht aller Bürger gewährleisten sollten. Aber diese Zeiten sind vorbei. Heute wird der Filibuster ganz selbstverständlich generell zur Störung der Gesetzgebungsverfahren eingesetzt. 37
    Später werden wir noch ein weiteres Beispiel der Beschneidung politischer Teilhaberechte diskutieren: den Einfluss der US-Notenbank auf die makroökonomische Politik. Die Regierung hat die Zuständigkeit für ein politisches Steuerungsinstrument, das von zentraler Bedeutung für die Lebensverhältnisse der Durchschnittsbürger ist – die Geldpolitik, die
die Höhe der Arbeitslosigkeit und die Konjunktur beeinflusst –, einer Gruppe übertragen, die sich in erheblichem Umfang aus Personen zusammensetzt, die von Banken und anderen privatwirtschaftlichen Akteuren gewählt wurden und nur einer unzureichenden demokratischen Rechenschaftspflicht unterliegen.
    Die zunehmende Ungleichheit in den Vereinigten Staaten wirkt sich auf unsere Demokratie womöglich besonders schädlich aus. Es besteht weitgehend Einvernehmen darüber, dass die Mittelschicht die tragende Säule unserer Demokratie ist. Viele Arme haben sich so sehr von der Politik entfremdet, dass sie nur noch schwer dazu zu bewegen sind, zur Wahl zu gehen. Die Reichen brauchen keine allgemeinverbindlichen Rechtsregeln; sie können die ökonomischen und politischen Prozesse so beeinflussen, dass sie ihren Interessen dienlich sind, und sie tun dies auch. Die Mittelschicht versteht vermutlich am ehesten, weshalb es in einer Demokratie so wichtig ist, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen, und auch, warum ein fairer rechtlicher Ordnungsrahmen für unsere Wirtschaft und Gesellschaft unverzichtbar ist. Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hielten die Mitglieder der Mittelschicht das wirtschaftliche und politische System für grundsätzlich fair, und ihr Glaube an »bürgerschaftliches Engagement« wurde scheinbar durch einen Wachstumsschub belohnt, von dem sie – und alle anderen – profitierten. Aber gegenwärtig verändert sich all dies. Wie wir in Kapitel 3 sahen, führt die Polarisierung des US-Arbeitsmarktes zur Aushöhlung der Mittelschicht, und deren Angehörige betrachten einen politischen Prozess, der sich kaum noch ihrer Belange annimmt, mit wachsender Enttäuschung.

Der schwindende Einfluss Amerikas
    Amerikas globale Stärke ist seine soft power  – die Macht seiner Ideen, ein Bildungssystem, das die zukünftige Führungselite vieler Länder der Erde ausbildet, das Vorbild, das es für andere darstellt. Irak und Afghanistan haben die Grenzen militärischer Macht aufgezeigt; nicht einmal eine Supermacht, die so viel für ihr Militär ausgibt wie sämtliche Staaten der übrigen Welt zusammengenommen, kann ein Land mit einem Zehntel ihrer Einwohnerzahl und 0,1 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung wirklich befrieden oder erobern. Die USA haben ihren Einfluss lange Zeit mittels ihrer Wirtschaftskraft und der Anziehungskraft ihrer Demokratie ausgeübt.
    Aber das amerikanische Modell verliert an Glanz. Es ist nicht nur so, dass das amerikanische Kapitalismusmodell kein nachhaltiges Wachstum erzeugte. Weit stärker schlägt zu Buche, dass andere allmählich erkennen, dass die meisten Bürger von diesem Wachstum nicht profitiert haben, und ein solches Modell ist politisch nicht besonders attraktiv. Auch die Korruption (amerikanischen Stils) unseres politischen Systems, in dem Sonderinteressen einen beherrschenden Einfluss ausüben, wird andernorts zur Kenntnis genommen.
    Selbstverständlich geht es hier um mehr als nur ein bisschen Schadenfreude. Wir haben Ländern auf der ganzen Welt Vorträge gehalten über gute Wirtschaftspolitik, leistungsfähige Institutionen, echte demokratische Verhältnisse, solide Staatsfinanzierung und ausgeglichene Haushalte. Wir haben ihnen sogar Standpauken über übermäßige Ungleichheit und ausuferndes Rent-Seeking gehalten. Doch mittlerweile ist unsere Glaubwürdigkeit dahin: Unser politisches System wird als eines wahrgenommen, in dem eine Partei danach strebt, die Armen politisch zu entmündigen, in dem man mit Geld Politiker kauft und Strategien erwirkt, die Disparitäten verschärfen. Das Risiko eines schwindenden Einflusses sollte uns zu

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