Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)

denken geben. Selbst wenn sich die Dinge in den Vereinigten Staaten besser entwickelt hätten, würde das Wachstum der Schwellenländer eine neue Weltordnung erfordern. Nur während einer kurzen Zeitspanne – zwischen dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch von Lehman Brothers – hatten die Vereinigten Staaten in praktisch allen Bereichen einen beherrschenden Einfluss. Heute verlangen die Schwellenländer mehr Mitspracherechte in internationalen Foren. Aus den G8, in der die reichsten Industriestaaten die Grundlinien der Weltwirtschaftspolitik abzustimmen versuchten, wurden die G20, weil wir keine andere Wahl hatten: Die globale Rezession gab zwar den Anstoß dazu, aber um globale Fragen wie die weltweite Erwärmung oder den Welthandel effektiv anzugehen, musste man weitere Länder einbeziehen. China ist schon heute die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft, die zweitgrößte Exportwirtschaft, die weltgrößte Produktionswirtschaft, der Sparweltmeister und der größte Treibhausgasemittent.
    Bei der Verbreitung von Ideen – Gleichheit, Menschenrechten, Demokratie und Marktwirtschaft – war Amerika außerordentlich erfolgreich. Es gehörte zu der Mission der Vereinigten Staaten, eine Welt zu erschaffen, die diese Werte teilt. Das liegt allerdings auch in unserem
ureigenen Interesse. Oben wies ich darauf hin, dass die eigentliche Quelle unserer Macht unsere soft power ist; diese Macht verdankt sich jedoch ausschließlich der Tatsache, dass andere die Dinge durch eine Brille sehen, die sich nicht allzu sehr von unserer eigenen unterscheidet. Wir mögen versuchen, eine Pax Americana durchzusetzen, aber wir haben gesehen, wie schwierig und kostspielig das ist. Es lässt sich viel mehr erreichen, wenn andere einsehen, dass sich ihre Interessen mit unseren decken, was die Schaffung einer demokratischen und prosperierenden Gesellschaft anbelangt. Eine effiziente Steuerung der Globalisierung erfordert weltweite Abkommen in den Bereichen Handel, Finanzmarkt, Investitionen, Umwelt, Gesundheit und Wissensmanagement. In der Vergangenheit haben die Vereinigten Staaten einen sehr starken Einfluss auf die Gestaltung dieser Abkommen ausgeübt. Wir haben diesen Einfluss nicht immer in sinnvoller Weise genutzt; wir haben ihn oft dazu eingesetzt, eigene Sonderinteressen zu begünstigen und dabei Rent-Seeking-Aktivitäten Vorschub geleistet, die bei der Schaffung von Ungleichheit eine so große Rolle spielen. In der Frühphase der modernen Globalisierung wurde das nicht voll und ganz verstanden, doch das ist heute anders. Es gibt Forderungen nach Änderungen an den Aufsichts-und Steuerungsmechanismen globaler ökonomischer Institutionen und Vereinbarungen, und in Verbindung mit dem neuen weltwirtschaftlichen Machtgleichgewicht sind entsprechende Änderungen unvermeidlich. Auch danach wird unser Einfluss wahrscheinlich immer noch groß sein, fast sicher unangemessen groß im Verhältnis zu unserer Bevölkerung oder unserer Wirtschaftskraft. Aber das Ausmaß, in dem die Weltwirtschaft und die Weltpolitik im Einklang mit unseren Werten und Interessen gestaltet werden können, wird weitgehend von der Qualität der Leistungen abhängen, die unser ökonomisches und politisches System für die meisten Bürger erbringt. In dem Maße, wie sich in anderen Regionen der Welt Demokratien entwickeln, wird ein ökonomisches und politisches System, das die meisten Bürger zurücklässt – wie es das unsere getan hat –, nicht als vorbildhaft angesehen werden, und die Spielregeln, für die sich ein solches Land stark macht, werden mit Skepsis betrachtet werden.

Einige Grundlagen der modernen Psychologie und Volkswirtschaftslehre
    Die Erforschung des tatsächlichen Verhaltens von Menschen – statt jenes Verhaltens, das sie beispielsweise an den Tag legen würden, wenn sie Zugang zu vollkommener Information hätten und diese in ihrem Bestreben, ihre wohlverstandenen Ziele zu erreichen, effizient nutzten – ist
Gegenstand einer wichtigen Teildisziplin der modernen Volkswirtschaftslehre, der sogenannten Verhaltensökonomik. Sie geht von der Annahme aus, dass menschliches Verhalten selbst dann, wenn es nicht mit den Grundsätzen der Rationalität übereinstimmt, vorhersagbar sein kann. Und wenn wir die Determinanten des Verhaltens verstehen, können wir es beeinflussen. 9
    Moderne psychologische und verhaltensökonomische Studien haben gezeigt, dass es auf bestimmten Feldern systematisch zu Fehlwahrnehmungen kommt. Wir treffen