Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
eines gesellschaftlichen und ökonomischen Wandels – und dazu gehört auch die Veränderung der gesellschaftlichen Ungleichheit.
Die Ideengeschichte widmet sich der Entstehung und Weiterentwicklung von Ideen. Niemand kontrolliert diese Entwicklung. 24 Der Wandel vollzieht sich eher in organischer Weise. Ideen entspringen aus vielfältigen Quellen – oft in Reaktion auf aktuelle Ereignisse, manchmal als Teil eines natürlichen evolutionären Prozesses. 25
Ideen werden freigesetzt (man kann sie als intellektuelle Mutationen auffassen), und einige landen auf fruchtbarem Boden: Sie helfen Menschen, die Welt zu verstehen, insbesondere da es im ureigenen Interesse des Menschen liegt, sie zu verstehen.
In der Vergangenheit änderten sich Überzeugungen manchmal in einer Weise, die dem Wohl der Eliten förderlich war, etwa als sich Ideen,
die Sklaverei oder Ungleichheit rechtfertigten, allgemein durchsetzten. Manchmal veränderten sich Anschauungen in einer Weise, die ihren Interessen zuwiderlief. Zweifellos wäre es den Eliten in Großbritannien lieber gewesen, wenn die Ideen der Aufklärung den Atlantik nicht überquert hätten. Sklaveneignern in den amerikanischen Südstaaten wäre es lieber gewesen, wenn die Aussage »alle Menschen werden gleich erschaffen« enger ausgelegt worden wäre. Dass sich zumindest in einigen Fällen Überzeugungen in einer Weise entwickelten, die den Interessen der Eliten zuwiderlief, deutet darauf hin, dass die Eliten, zumindest in der Vergangenheit, die Entwicklung der Ideen nicht vollständig kontrollierten.
So hat beispielsweise die Globalisierung für viele Länder auch neue Ideen mit sich gebracht, etwa Demokratie, Menschenrechte und soziale Gleichheit. Ein grundlegender Wandel in Technik oder Marktstruktur – die Umstellung von der Landwirtschaft auf industrielle Produktion oder von einer Industrie- auf eine Dienstleistungswirtschaft – geht zwangsläufig mit gesellschaftlichen Veränderungen gewaltigen Ausmaßes einher, und dies betrifft auch Anschauungen über die »richtige« Organisation von Gesellschaft und Wirtschaft. Die Entstehung des industriellen Sektors erforderte besser ausgebildete Arbeitskräfte, und es ließ sich nur schwer ein Argument dafür finden, Wahlrechte nicht auf die Gebildeten zu erweitern, auch wenn diese traditionell nicht zu den Eliten zählten.
Im zwanzigsten Jahrhundert spielten Erfolg und Versagen von Regierungen und Märkten eine wichtige Rolle bei der Herausbildung von Ideen über die angemessene Aufgabenverteilung zwischen Staat und Markt. In Anbetracht der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, als die Arbeitslosigkeit in den USA 25 Prozent erreichte, konnten höchstens ideologische Eiferer die Auffassung vertreten, Märkte seien immer effizient. Es war nicht weiter verwunderlich, dass unter diesen Umständen die Anschauung, der Staat solle stärker in die makroökonomische Steuerung eingreifen, an Zuspruch gewann. Vor 1960 generierten die Märkte in den meisten Entwicklungsländern (zumindest so, wie sie von den Kolonialmächten gestaltet worden waren) von sich aus keine Wachstumsimpulse. Es war daher nur verständlich, dass viele Menschen in diesen Ländern die Ansicht vertraten, der Staat solle den weiteren Entwicklungsprozess aktiv gestalten. Doch in Anbetracht des Scheiterns kommunistischer Systeme konnte allenfalls ein verbohrter Ideologe noch für einen beherrschenden Einfluss des Staates auf die Wirtschaft plädieren.
Diese Erfahrungen, die Beobachtungen, dass Märkte – ebenso wie der Staat – oftmals versagen, mündeten folgerichtig in die hier vertretene Auffassung, dass Märkte, Staat und Zivilgesellschaft in einem ausgewogenen Kräfteverhältnis zueinander stehen sollten. Die konkrete Ausformung dieses Gleichgewichts konnte sich von Land zu Land und im Zeitablauf unterscheiden. In Ostasien entstand die Idee des Entwicklungsstaates , der die Entwicklung mithilfe von Marktmechanismen vorantreiben sollte. Sie zeitigte einige fantastische Erfolge, historisch beispiellose, nachhaltige Wachstumsraten, die zu einem enormen Rückgang der Armut und hohen Wohlstandszuwächsen für die große Mehrheit der Bevölkerung führten.
Aber Ideen und Interpretationen historischer Ereignisse sind immer strittig. Einige analysieren diese Ereignisse und gelangen zu ganz anderen Schlussfolgerungen. Manche Experten (etwa der Nobelpreisträger Milton Friedman, ein Vertreter der Chicagoer Schule) legten bei ihrer Deutung der
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