Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
die zu dem Ergebnis gelangen, dass das hohe Maß an Ungleichheit in den Vereinigten Staaten die ökonomische Instabilität erhöht, die Produktivität senkt und die Demokratie untergräbt und dass dies größtenteils in einer Weise geschieht, die nichts mit gesellschaftlichen (Wohlfahrts-)Beiträgen zu tun hat, sondern vielmehr auf die Fähigkeit zurückzuführen ist, Marktmacht auszuüben – die Fähigkeit, Verbraucher durch Monopolmacht auszubeuten oder mittellose und ungebildete Kreditnehmer durch Praktiken auszubeuten, die verboten sein sollten, auch wenn sie es gegenwärtig nicht sind.
Der »Kampf der Ideen« manifestiert sich oftmals in der Auseinandersetzung um konkrete politische Streitfragen, etwa darum, ob Steuern auf Kapitalerträge erhöht werden sollten. Aber hinter diesen Kontroversen verbirgt sich die umfassendere Auseinandersetzung um Wahrnehmungen und Grundwerte – etwa um die Rolle des Marktes, des Staates und der Zivilgesellschaft. Es handelt sich nicht bloß um eine philosophische Debatte, sondern gerungen wird darum, wer die Wahrnehmungen über die angemessenen Zuständigkeiten dieser drei prägt. Diejenigen, die nicht wollen, dass das Abschöpfen politischer Renten unterbunden wird, von dem sie so sehr profitieren, und die nicht wollen, dass der Staat Umverteilung betreibt oder ökonomische Chancen und soziale Mobilität verbessert, betonen das Versagen des Staates. (Bemerkenswerterweise gilt dies auch dann, wenn die Betreffenden ein öffentliches Amt bekleiden und etwas tun könnten und sollten, um jedes Problem, von dem sie Kenntnis erlangen, zu korrigieren.) Sie argumentieren, der Staat störe den Marktmechanismus. So, wie sie einerseits die Schwächen des Staates überzeichnen, übertreiben sie andererseits die Stärken der Märkte. Für unsere Zwecke am wichtigsten ist die Tatsache, dass sie danach streben, diesen Wahrnehmungen Allgemeingültigkeit zu verschaffen, so dass wir alle glauben, dass Ausgaben von Privatpersonen (und sei es für Glücksspiele) ökonomisch allemal sinnvoller seien als Staatsausgaben und dass alle staatlichen Bemühungen, Marktversagen – etwa die Tendenz von Unternehmen zu übermäßiger Umweltverschmutzung – zu beheben, mehr Schaden als Nutzen stiften. 22
Dieser große Meinungskampf ist entscheidend dafür, wie man die Entwicklung der Ungleichheit in Amerika begreift. Die Tatsache, dass die Rechten während der letzten dreißig Jahre diese Auseinandersetzung sehr erfolgreich bestritten, hat unseren Staat entscheidend geprägt. Wir haben zwar nicht den minimalistischen Staat verwirklicht, den die Libertären verlangen. Aber wir haben einen Staat verwirklicht, der nicht genügend Spielraum hat, um jene öffentlichen Güter bereitzustellen – Investitionen in Infrastruktur, Technik und Bildung –, die eine starke wirtschaftliche Dynamik freisetzen würden, und der zu schwach ist, um jene Umverteilung ins Werk zu setzen, die notwendig ist, um eine faire Gesellschaft zu schaffen. Er ist indes noch immer mächtig genug, um den Reichen eine Fülle von Geschenken zu machen. Die Befürworter eines weitgehend »staatsfreien« Finanzsektors waren glücklich, dass die
Regierung im Jahr 2008 das Geld hatte, um sie zu retten – und staatliche Rettungsaktionen gehören tatsächlich seit Jahrhunderten unverbrüchlich zur Geschichte des Kapitalismus dazu. 23
Diese erbitterten politischen Kontroversen basieren ihrerseits auf allgemeinen Ideen über Menschenrechte, die menschliche Natur und die Bedeutung von Demokratie und Gleichheit. In den Debatten über die Einschätzung dieser Grundwerte haben die Vereinigten Staaten in den letzten Jahren eine andere Richtung eingeschlagen als die meisten anderen Länder der Welt. Zwei Kontroversen – über die Todesstrafe (die in Europa strikt abgelehnt wird) und über das Recht auf medizinische Versorgung (das in den meisten Ländern als ein grundlegendes Menschenrecht angesehen wird) – sind bezeichnend für diese Unterschiede. Es mag schwierig sein herauszufinden, welche Rolle die tiefen ökonomischen und sozialen Gräben in unserer Gesellschaft bei der Entstehung dieser gravierenden Differenzen spielten; aber klar ist, dass, wie im letzten Kapitel angemerkt, unser weltweiter Einfluss abnehmen wird, wenn unsere Werte und Überzeugungen augenscheinlich immer weniger mit denen der übrigen Welt übereinstimmen.
Wie sich Ideen entwickeln
Der Wandel der Einstellungen zu diesen Grundwerten ist sowohl Ursache als auch Folge
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