Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
Verhalten des IWF von einer Kombination aus ideologischen Anschauungen und Interessen bestimmt, die an Eigendynamik gewannen.
Dass der IWF sich mit meinen Sichtweisen nicht anfreunden konnte, war nicht weiter erstaunlich. Er reagierte mit persönlichen Schmähungen gegen mich. Als ich behauptete, dass es unter bestimmten Umständen sinnvoll sein könnte, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, wurde ich als ökonomischer Scharlatan hingestellt.
Zehn Jahre später sieht das Schlachtfeld anders aus. Die Wahrnehmungen haben sich grundlegend gewandelt (mein Buch mag einen Beitrag dazu geleistet haben), und es besteht weithin Einvernehmen darüber, dass die Lenkungs- und Kontrollstrukturen des IWF reformiert werden müssen. Einige der notwendigen Reformschritte wurden bereits in Angriff genommen, und für die Zukunft sind weitere geplant.
Der IWF hat eingeräumt, dass Kapitalverkehrskontrollen unter bestimmten Umständen sinnvoll sein können. 69 Bei einigen seiner Strukturprogramme, etwa dem für Island, hat der IWF Kapitalverkehrskontrollen akzeptiert und deutlich weniger Sparauflagen als früher gemacht. Hinter den Kulissen drängte er in einigen europäischen Krisenländern auf Umschuldungen, bei denen die Gläubiger einen größeren Teil der Kosten und die Steuerzahler einen kleineren Teil tragen sollten. Dem stehen allerdings mächtige Gegenspieler wie die Europäische Zentralbank entgegen. Während im Fall Griechenland die Notwendigkeit einer tief greifenden Umschuldung schließlich doch akzeptiert wurde, wurden in Irland sogar ungesicherte Anleihegläubiger geschützt: Sie kassierten die hohen Kapitalerträge, angeblich dafür, dass sie ein Risiko eingingen, aber letztlich wurden ihre Forderungen abgesichert – was den irischen Steuerzahler teuer zu stehen kommt.
Zum Schluss
In der Politik sind Wahrnehmungen entscheidend. Beflissene Ideologen auf beiden Seiten picken sich die Beispiele heraus, die ihnen zupass kommen, und ziehen daraus weitreichende Schlüsse. Wie schon erwähnt, nehmen viele Menschen nur das wahr beziehungsweise behalten nur das in Erinnerung, was mit ihren ursprünglichen Überzeugungen in Einklang steht. Dies gilt vielleicht insbesondere für ideologisch aufgeladene Themen wie etwa die Rolle des Staates insbesondere im Umgang mit der Ungleichheit. Allein darin mag sich das hohe Maß an Ungleichheit schon widerspiegeln. Für das oberste eine Prozent steht bei der Debatte sehr viel Geld auf dem Spiel. Angesichts dessen wird es schwieriger, nicht leichter, alle Argumente sorgfältig abzuwägen.
In diesem Kapitel habe ich für eine nuancierte und ausgewogene Herangehensweise an die Frage plädiert, wie eine sachgerechte Rollenverteilung zwischen Markt und Staat aussehen könnte. Ob ein bestimmter medizinischer Eingriff gut oder schlecht ist, entscheiden wir nicht, indem wir nur die Erfolge oder nur die Horrorgeschichten betrachten. Vielmehr versuchen wir zu verstehen, unter welchen Bedingungen ein medizinischer Eingriff wahrscheinlich erfolgreich sein beziehungsweise fehlschlagen wird. Wie hoch sind die Risiken, wenn man nichts unternimmt? Was kann der Eingriff ausrichten, was nicht? Die gleiche Sorgfalt sollte man sowohl gegenüber den »großen« Ideen, die wir diskutiert haben, als auch bezüglich der konkreten politischen Eingriffe walten lassen.
Die Mächtigen versuchen, in der Diskussion Bezugsrahmen durchzusetzen, die ihren Interessen dienlich sind, da sie erkannt haben, dass sie ihre Regeln anderen in einer Demokratie nicht einfach auferlegen können. Auf die eine oder andere Weise müssen sie die übrige Gesellschaft mit ins Boot holen, wenn sie ihre Agenda durchsetzen wollen.
Auch hier sind die Begüterten im Vorteil. Wahrnehmungen und Überzeugungen lassen sich formen. In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass die Reichen über die Instrumente, die Mittel und die Anreize verfügen, um Überzeugungen in einer Weise zu beeinflussen, die ihren Interessen förderlich ist. Sie gewinnen zwar nicht immer – dennoch ist es kein Kampf unter Gleichen.
Wir haben gesehen, wie die Mächtigen die öffentliche Wahrnehmung durch Appelle an Fairness und Effizienz manipulieren, während die tatsächlichen Ergebnisse nur zu ihrem Vorteil sind. Im nächsten Kapitel werden wir sehen, wie sie dies nicht nur auf dem Marktplatz der öffentlichen Meinung, sondern auch in den Gerichtssälen Amerikas bewerkstelligen.
KAPITEL 7
Gerechtigkeit für alle? Wie Ungleichheit den Rechtsstaat
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