Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
SEC-Vergleiche genehmigen, und die Gerichte segnen sie in der Regel ab, als wäre es eine reine Formsache. Doch ein Richter war schließlich derart fassungslos über das Ausmaß eines Betrugsfalls, dass er den Vergleich nicht einfach durchwinkte. Ende November 2011 lehnte Richter Rakoff vom US-Bezirksgericht in Manhattan einen Vergleichsvorschlag der Citigroup über 285 Millionen Dollar wegen eines Betrugsvorwurfs ab. Er stellte fest, dass die Bank eine »Wiederholungs«- beziehungsweise »Gewohnheitstäterin« sei. Es war unverkennbar, dass sich die Vollstreckungsverfahren der SEC kaum auf das Verhalten der Bank auswirkten, zum Teil weil die SEC gegen Wiederholungstäter wie die Citibank vor Gericht keine Beschuldigungen wegen Missachtung der eigenen Verpflichtungserklärung erhob.
In diesem Fall hatte die Citibank (wie viele andere Banken, einschließlich Goldman Sachs) Wertpapiere ausgetüftelt, die aus Hypotheken bestanden, die nach Einschätzung der Bank mit Sicherheit ausfallen würden, und an nichtsahnende Kunden verkauft. Anschließend konnte
die Bank (beziehungsweise, im Fall einiger anderer Banken, konnten deren Vorzugskunden) gegen diese Wertpapiere Wetten abschließen. Als deren Wert sank, machte die Bank (beziehungsweise machten deren Vorzugskunden) riesige Gewinne auf Kosten der Bankkunden, die die Wertpapiere gekauft hatten. Viele der Banken legten nicht offen, was sie taten. Sie rechtfertigten ihr Handeln unter anderem mit dem Rechtsgrundsatz caveat emptor : »Niemand sollte uns vertrauen, und wer es doch tut, ist ein Idiot.« Aber in dem Fall, in dem Richter Rakoff den Vergleich ablehnte, hatten sich die Citibank und einige der anderen Banken nicht einfach nur über die Risiken ausgeschwiegen: Sie hatten den Anlegern die falsche Auskunft gegeben, ein unabhängiger Dritter sei für die Zusammenstellung des Wertpapierportefeuilles verantwortlich. Während Anleger bei dem Geschäft 700 Millionen Dollar verloren, machte die Citibank einen Reibach von 160 Millionen Dollar.
Wenn dies ein Einzelfall wäre, könnte man ihn einigen wenigen Personen anlasten. Aber bei einer Untersuchung der Vergleiche, die die SEC bei Betrugsverfahren geschlossen hat, stieß die New York Times auf »51 Fälle, die 19 Unternehmen betrafen, bei denen die Behörde behauptete, ein Unternehmen habe gegen Betrugsvorschriften verstoßen, obwohl es zuvor verpflichtend erklärt habe, diese nicht (mehr) zu verletzen«. 43
Es scheint so zu sein, dass unser Rechts- und Wirtschaftssystem den Anreiz zu unethischem Verhalten bietet: Die Vergütung der Führungskräfte steigt, wenn der Unternehmensgewinn steigt, selbst wenn er auf Betrug basiert, und die Aktionäre des Unternehmens zahlen die Bußgelder. In vielen Fällen sind die Manager, die für die betrügerischen Machenschaften verantwortlich waren, längst aus dem Unternehmen ausgeschieden. Ein Wort hier zur Strafverfolgung von leitenden Angestellten: Wenn die Aktionäre die Geldstrafen zahlen und das Management seine Vergütung auf der Grundlage der kurzfristigen Leistung des Unternehmens selber festlegt und Risiken (jene Ereignisse, die mit geringer Wahrscheinlichkeit eintreten, wie etwa erwischt, belangt und zu einer Geldstrafe verurteilt zu werden) ganz hinten in der Renditeverteilung versteckt, dann sollten uns diese anhaltenden und systematischen Betrugsfälle nicht überraschen. In solchen Fällen genügt es nicht, dem Unternehmen eine Geldstrafe aufzuerlegen: Es sind Menschen, die Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen, und sie sollten für ihre
Handlungen geradestehen. Diejenigen, die diese Verbrechen begehen, können ihre Verantwortung nicht einfach auf ein abstraktes Konstrukt namens »Unternehmen« abwälzen.
Zum Schluss
Die Notwendigkeit eines starken Rechtsstaats ist weithin anerkannt, aber es kommt auch darauf an, wie dieses Recht aussieht und wie es umgesetzt wird. Bei der Ausgestaltung des Regelwerks aus Gesetzen und Verordnungen, dem eine Volkswirtschaft und eine Gesellschaft unterliegen, müssen unterschiedliche Interessen gegeneinander abgewogen werden: Einige Gesetze und Verordnungen begünstigen die eine Gruppe, andere begünstigen eine andere.
Wir haben mehrere Beispiele gesehen, bei denen das Geschehen vielleicht vorhersagbar war: In den Rechtsnormen und der Art und Weise, wie sie um- und durchgesetzt werden, spiegeln sich die Interessen der obersten Schicht unserer Gesellschaft stärker wider als die der Mittel- und Unterschicht. Wachsende
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