Der Preis des Lebens
hatte, wusste Visco bereits jetzt, dass er die Worte des Bärtigen niemals vergessen könnte.
Tochter. Kind.
Monster.
*
Nachdenklich wog Visco eine pummelige weiße Kerze in der Hand.
Der Vampir erinnerte sich, wie er damals Hals über Kopf aus der Stadt geflohen war. Für ihn war in jener Nacht nur wichtig gewesen, vor dem Morgengrauen so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Ort des Geschehens zu bringen.
Ein Bestreben, das ihm beinahe den Tod gebracht hätte.
Nur eine in letzter Sekunde gefundene Zuflucht im Wald hatte ihn vor dem Untergang bewahrt, nachdem er in seiner bitteren Verwirrung vom Sonnenaufgang überrascht worden war und die blassen Strahlen der Morgensonne seiner Haut bereits die ersten schmerzhaften Verbrennungen zugefügt hatten ...
*
Nach Einbruch der darauffolgenden Nacht war Visco in jenem modrigen, übel riechenden Loch im Wald zwischen Würmern und Asseln erwacht, mit hämmernden Kopfschmerzen und starken Verbrennungen, von seinen nicht weniger brennenden Schuldgefühlen zusätzlich fast um den Verstand gebracht.
Was nun, DeRául? , fragte er sich dumpf, nachdem er aus dem Erdloch geklettert war und sich im nächtlichen Wald umsah.
Geistesabwesend rieb er sich den schmerzenden Arm, der ebenso wie seine Hände, sein Hals und sein Gesicht erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden war. Visco brauchte nicht den schwachen Lichtschimmer der Sterne, um seine Wunden zu betrachten: Die Haut auf seinem Handrücken schälte sich wie bei einer Schlange. Oberhalb des Gelenks war seine sonst so noble Blässe verschwunden – die Haut war gerötet, teilweise schuppig und rau oder glänzte gar noch feucht, während andere Stellen wiederum einfach nur höllisch brannten. Als er vorsichtig seine Wangen betastete, spürte Visco sandige Pusteln unter seinen Fingerspitzen hinweg gleiten.
Anscheinend hatte die Ruhepause bis Sonnenuntergang nicht genügt, das Gewebe allerorts vollständig zu heilen.
Visco biss die Zähne zusammen und marschierte auf eine Lücke zwischen den Bäumen zu. Kurz darauf fand er sich auf einem schmalen Streifen Gras wieder, der eine Art Grat zwischen dem Waldrand und einer abfallenden Wiese darstellte.
Der Vampir zuckte mit den Schultern. Dieser Ort war genauso gut wie jeder andere, um seinem Körper noch ein wenig Ruhe zu gönnen, damit er selbst mit den Verbrennungen fertig werden konnte. Also ließ Visco sich im feuchten Gras nieder, streckte die langen Beine aus und ließ den Blick über den Hang schweifen. Die Wiese fiel dreißig, vielleicht vierzig Meter steil ab und überwand am Fuß des Hanges sogar einen im Mondlicht glitzernden Bach, ehe sie sich auf der anderen Seite in Form einer von dürren Bäumen gesäumten Böschung fortsetzte. Heerscharen von Glühwürmchen tanzten in der Schräge über dem Gras auf und ab, Motten und Falter füllten die Luft mit dem leisen Samtgeflüster ihrer Flügel.
Nachdem er den Glühwürmchen eine ganze Weile bei ihrem Tanz zugesehen hatte, begann Visco unruhig hin und her zu rutschen. Das Brennen und Jucken seiner Haut ließ langsam nach. Leider galt dies nicht für die Schuldgefühle, die ihn plagten und seinen Verstand regelrecht marterten.
Je länger er so im feuchten Gras saß und über die ganze Angelegenheit nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass diese Schuldgefühle wohl auch nicht so schnell abklingen, geschweige denn bis zum Morgengrauen oder der nächsten Nacht wie von Zauberhand verschwunden sein würden.
Denn wie auch immer Visco die Sache drehte und wendete: Er hatte nun mal die Kontrolle verloren und gegen seine eigenen Regeln verstoßen, egal ob absichtlich oder nicht. Gegen jene Regeln, die ihm in all den Jahren dabei geholfen hatten, Nacht für Nacht die schönsten aller Frauen in mehr als einer Hinsicht zu nehmen, ohne dabei selbst zu Grunde zu gehen.
Vampire brauchten Blut. Entgegen der Gerüchte, Sagen und Geschichten schlug ihr Herz ab und an – ebenso selten wie unregelmäßig, aber dennoch –, ja floss Leben durch ihre Adern. Allerdings schlug der vampirische Herzmuskel so selten und unregelmäßig, dass mit Übertritt auf die Nachtseite ein normaler Alterungsprozess tatsächlich gestoppt wurde und Blut von außen notwendig war, um die Kinder der Finsternis auf den Beinen zu halten. In machen Nächten im Schatten dieser fragwürdigen Unsterblichkeit eines sporadischen Herzschlags war es ein manchmal fast schon panisches, verzweifeltes Bedürfnis nach Blut und damit Leben, das die vermeintlich untoten Vampire
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