Der Preis des Verrats (German Edition)
jetzt in einer Beweismitteltüte aus Zellophan lag, hatte im Mund der Leiche gesteckt. Du bist am Zug , schien die Figur zu Reid zu sagen, und schon ihre bloße Anwesenheit gab ihm das Gefühl, als ob ein Rasiermesser über seine Nerven geglitten wäre. Joshua Cahill war ein anerkannter Schachmeister gewesen.
„Hat jemand mal in Springdale nach Cahill gesehen?“, fragte er.
„Ich habe da angerufen, vor einer Stunde. Sitzt warm und gemütlich in einer Hochsicherheitszelle.“
Reid kniete sich neben die Leiche und untersuchte die kleinen runden Male auf der bleichen Haut am rechten Unterarm. Joshua Cahill hatte in seiner Aussage behauptet, seine leibliche Mutter hätte ihn als Kind mit Zigaretten verbrannt, bis er schließlich in eine Pflegefamilie gebracht worden war. Er hatte diesen Akt bei seinen Opfern wiederholt. „Sexuelle Penetration?“
„Die vorläufigen Ergebnisse der Gerichtsmediziner legen das nahe. Nach der Obduktion werden wir es wissen. Vielleicht gibt es DNA-Spuren.“
„Kein Kondom? Das würde nicht zu Cahills Vorgehensweise passen.“
„Nein“, räumte Mitch ein.
Reid betrachtete das Gesicht der Frau. Sie war attraktiv gewesen, das konnte er trotz der Spuren, die der Tod an ihr hinterlassen hatte, noch erkennen. Ihr langes Haar war blond und gut gepflegt. Sie war vielleicht Anfang bis Mitte dreißig gewesen. Und ihre nackten Füße schienen erst vor Kurzem eine Pediküreerhalten zu haben, denn die Fußnägel waren mit einem geschmackvollen neutralen Lack bemalt. Sie gehört zu jemandem, dachte Reid, und eine Mischung aus Wut und Hilflosigkeit schnürte ihm die Kehle zu. Das taten sie immer. Irgendwo wartete ein Mitbewohner, ein Ehemann, eine Mutter, Kinder – zu denen sie nicht heimgekommen war. Er schluckte seine Gefühle herunter.
„Wie hat der Täter den Leichnam hier hereinbekommen?“
„Es gibt an der Rückseite einen Dienstboteneingang“, sagte Mitch. „Der Verlauf der Fußspuren zeigt, dass er dort ins Haus gekommen ist. Der Täter hat die Leiche wahrscheinlich in den Keller getragen oder gezogen. Die verschmierten Blutspuren auf dem Fußboden deuten auf Letzteres hin.“
„Und niemand hat etwas gesehen?“
„Im Moment gehen Polizisten von Tür zu Tür und befragen die Leute, aber bis jetzt haben wir nichts. Dieses Stadthaus hier am Ende der Reihe steht seit Monaten leer.“
Ein Mitarbeiter der Gerichtsmedizin – er fiel auf, weil er Dreadlocks trug – unterbrach sie. Er wollte wissen, ob sein Team die Leiche fortbringen konnte. Reid überließ es Mitch, die Angelegenheit zu regeln, und stieg die Treppe hinauf. Er brauchte dringend Tageslicht und frische Luft.
Rechts der Treppe hatten frühere Bewohner einen Wintergarten eingerichtet. Die Fenster waren jedoch zugenagelt worden, um Obdachlose abzuhalten. Reid ging zur hinteren Ecke des Raums, das alte Linoleum knarrte unter seinen Füßen. Durch eine Ritze in den Sperrholzleisten vor den Fenstern sickerte kühle Herbstluft. Als Reid sich dem fünf Zentimeter langen Spalt näherte, erhaschte er einen Blick auf eine Farbexplosion in hellem Gelb, ein Ahornbaum, der im seitlichen Teil des Gartens wuchs. Die Morgensonne bahnte sich ihren Weg durch die Ritze und brachte etwas auf dem verschlissenen Fußboden zum Funkeln. Reid beugte sich hinunter, um es aufzuheben.
„Was ist das?“, fragte Mitch, der in diesem Augenblick in den Wintergarten kam.
„Ein Hufeisen.“
„Was?“
„Ein Anhänger.“ Mit seiner behandschuhten Rechten fasste Reid das u-förmige Schmuckstück an den Enden. Das Hufeisen war aus Weißgold oder Platin gefertigt, in seinem Bogen saß ein kleiner Diamant. Auf der Rückseite war in winzigen Buchstaben Tiffany & Co . eingraviert.
„Trug das Opfer irgendeinen Schmuck? Ein Armband mit kleinen Anhängern vielleicht?“
Mitch schüttelte den Kopf. „Der Täter hat das Opfer vermutlich auf dem Weg in den Keller hier durch den Wintergarten gezogen. Am Ende hat er sich etwas als Souvenir mitgenommen, und der Anhänger wurde dabei abgerissen. Entweder so, oder die Mexikaner haben sich den Schmuck in die eigene Tasche gesteckt, bevor sie die Polizei angerufen haben.“
Er holte eine Beweismitteltüte aus seinem Jackett und öffnete sie, sodass Reid den Gegenstand hineinfallen lassen konnte. Dann untersuchte Mitch den Anhänger genauer. „Tiffany, was? Und so ein schicker Pferdekram noch dazu. Auch Cahill mochte Frauen mit Geld.“
Reid antwortete nicht, er war in Gedanken versunken. Aber es war
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