Der Preis des Verrats (German Edition)
setzte sich auf, der tiefe Bariton seines Chefs erwischte ihn unvorbereitet. Er hatte ihn seit Monaten nicht mehr gehört, zumindest nicht in offizieller Eigenschaft.
„Tut mir leid, dass ich so früh anrufe. Mir ist klar, dass Sie noch für drei Wochen krankgeschrieben sind. Wie geht es Ihnen, Agent?“
Reid rieb sich die Nasenwurzel. „Mir geht es gut.“
„Schön. Wir haben uns beim Bureau wegen Ihrer Genesung auf dem Laufenden gehalten. Wenn Sie sich dem schon gewachsen fühlen, da gibt es etwas, das ich gerne mit Ihnen besprechen möchte. Ich brauche Ihre professionelle Beurteilung.“
Reid nahm seine Armbanduhr zur Hand, die auf einem Stapel Sports Illustrated-Magazinen lag. Er schaute auf das Ziffernblatt – sieben Uhr zweiunddreißig. „Worum geht es?“
„Eine Mordermittlung. Die District Police hat die Untersuchung an uns weitergeleitet. Die Agenten Tierney und Morehouse sind gerade am Tatort“, sagte Johnston und meinte damit Reids Partner Mitch und den Neuling, die während Reids Abwesenheit zusammenarbeiteten.
„Warum haben sie den Fall übergeben?“
Johnston verfiel in ein kurzes Schweigen, bevor er weitersprach: „Es gibt da ein paar auffallende Ähnlichkeiten zu den Cahill-Morden. Ich dachte, Sie sollten sich die Sache einmal ansehen.“
Reid spürte, wie seine Schultern sich anspannten. Der Capital-Killer-Fall war von besonders großem öffentlichen Interesse gewesen, darum war auch die Violent Crimes Unit, die Abteilung für Gewaltverbrechen beim FBI, hinzugezogen worden. „Wie ähnlich?“
„Ich möchte, dass Sie dort hinfahren.“
Auf dem Couchtisch fand Reid einen Stift und einen Notizblock. Während er Johnstons Ausführungen zuhörte, schrieb er sich rasch die Adresse in Columbia Heights auf, wo die Leiche gefunden worden war.
„Sie sind noch nicht wieder zum Dienst zugelassen“, erinnerte ihn Johnston. „Ich erlaube Ihnen, sich zum Tatort zu begeben und den Grad der Bedrohung zu bestimmen. Schauen Sie mal, was Ihnen auffällt. Ich bin sicher, Agent Tierney wird die Unterstützung zu schätzen wissen.“
„Ja, Sir.“ Der Special Agent in Charge musste das nicht näher ausführen. Er wollte wissen, ob die Auffälligkeiten am Tatort nur zufällig waren oder ob sie tatsächlich darauf hindeuteten, dass jemand es darauf abgesehen hatte, Cahills Taten nachzuahmen. Joshua Cahill selbst war es ganz sicher nicht gewesen – er saß eine lebenslange Freiheitsstrafe ab, ohne Möglichkeit, auf Bewährung entlassen zu werden. Erst nachdem es eine Reihe hochbezahlter Anwälte nicht geschafft hatten, ihn für prozessunfähig erklären zu lassen, hatte ihn dieses Los getroffen. Reids eigene Aussage vor Gericht hatte dafür gesorgt. Cahill war psychotisch, ja – aber er war auch hochintelligent und ein nach Plan handelnder, methodischer Killer, alles andere als verwirrt und geisteskrank. Deshalb konnte er auch für seine Verbrechen bestraft werden.
„Noch drei Wochen Krankschreibung, die sind schnell vorbei“, bemerkte Johnston. „Waren Sie auf dem Schießstand?“
„Noch nicht“, gab Reid zu. „Bald.“
„Sehen Sie zu, dass Sie da hinkommen. Sie werden Ihre Waffentauglichkeit noch einmal bestätigen lassen müssen, genauso wie die Erlaubnis für die Anwendung tödlicher Gewalt. Keine Sehstörungen mehr, hoffe ich?“
Reid spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. „Nein.“
„Das sind exzellente Neuigkeiten. Sie sind einer unserer besten Profiler.“ Johnston klang aufrichtig. „Wir vermissen Sie bei der VCU.“
Nachdem das Gespräch zu Ende war, fuhr sich Reid mit einer Hand durchs dunkle Haar. Es war wieder so voll und dicht wie vor der Operation, die mittlerweile sechs Monate zurücklag, bei der man ihm einen gutartigen, aber schwer erreichbaren Hirntumor entfernt hatte. Wann letzte Nacht war er aus dem Schlafzimmer gewankt und auf der Couch geendet? Er nahm die Schlaftabletten, die ihm Dr. Isrelsen verschrieben hatte, nicht sehr oft, aber letzte Nacht war er besonders unruhig gewesen.
Mir geht es gut . Der Tumor war weg und damit auch die Kopfschmerzen und das Doppeltsehen, die ersten Anzeichen seiner Krankheit. Er trainierte regelmäßig im Fitnessstudio und fühlte sich wieder ganz wie der Alte. Seine letzten zwei Kernspin-Untersuchungen waren einwandfrei gewesen. Reid wusste, dass er zu den Glücklichen gehörte, die davongekommen waren. Aber die Sorge um seine Gesundheit hatte ihn verändert. Zum ersten Mal, seit er vor neun Jahren seine Ausbildung in
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