Der Protektor von Calderon
hinzu: »Du hast wieder und wieder und wieder
bewiesen, dass du sein Sohn bist. Sein Sohn. Lass dir von niemandem etwas anderes einreden.«
Er starrte sie mit großen Augen an. Dann nickte er und schob plötzlich das Kinn vor. »Danke.«
»Bei den großen Elementaren, dafür brauchst du mir nicht zu danken«, sagte sie ruhig. »Ich finde es schrecklich. Ich finde alles schrecklich, was damit zu tun hat.«
»Wirst du zu mir halten?«, fragte er.
Sie beugte sich vor, nahm ihn in die Arme und zog ihn an sich, so fest sie konnte, während sie flüsterte: »Heil, Gaius Octavian.«
25
Tavi stand am Bug des Schiffes, wo er den Seeleuten nicht im Weg stand, die versuchten, die Schleiche so schnell wie möglich voranzutreiben. Das Schiff schoss durch die Wellen, die salzige Gischt hüllte ihn manchmal ein wie Dunst. Er spürte Kitai, ehe er sie auf nackten Füßen hinter ihm über das Deck gehen hörte. Sie stellte sich zu ihm, drückte sich seitlich an ihn und folgte seinem Blick hinaus nach Backbord.
Dort war inzwischen auch von hier unten das andere Schiff zu erkennen, dessen weiße Segel in der Nachmittagsonne leuchteten und das beständig auf sie zuhielt.
»Sie werden uns einholen«, sagte Kitai.
»Scheint mir auch so«, sagte Tavi. »Die Mannschaft wird nervös. Bald werden sie anfangen, die Messer zu wetzen.«
Kitai nickte. »Ich spüre es auch.« Sie schwieg eine Weile und sagte schließlich: »Greifen diese Piraten immer so weit draußen
auf dem Meer an? Ich denke, ist doch eine sehr anstrengende Art, Streit zu suchen. Wir hätten im Hafen kämpfen und die Sache dort regeln können. Dann hätten wir die Reise in Frieden genossen.«
»Klingt durchaus vernünftig«, stimmte Tavi zu. »Aber leider sind diese Leute nicht so vernünftig wie du.«
»Nein. Sind ja auch Aleraner.« Sie schüttelte den Kopf, und plötzlich fiel Tavi auf, dass ihre Augen gar nicht wie sonst bei solchen Bemerkungen gut gelaunt funkelten. » Chala , da gibt es etwas, das du dir ansehen solltest.«
Tavi nickte und folgte ihr über das Deck zu einer schmalen Treppe, die in den schwach beleuchteten Frachtraum führte. Im Inneren sah das Schiff aus wie ein grob gezimmertes Holzgebäude, wenn man die eigenartige Form der Außenwände und die niedrige Decke ausnahm. Sie gingen durch eine Art Vorratsraum voller Kisten und Fässer sowie eine kleine Werkstatt, wo es verschiedene Werkzeuge und Balken gab, offensichtlich für Reparaturen. Dahinter erreichte man den Frachtraum.
Er war feucht und muffig und wurde nur von zwei winzigen Elementarlampen erleuchtet. Die Holzbalken des Schiffes ächzten und stöhnten. Kitai schlich durch den nahezu leeren Frachtraum voran, bis sie ganz vorn ankamen, fast genau unterhalb der Stelle, an der Tavi gerade noch auf Deck gestanden hatte.
Dort hatte man die Planken, die den Boden des Frachtraums bildeten, ausgelassen, wodurch der Schwung des Rumpfes sichtbar wurde - und dort hatte sich ein Becken gebildet, das die Größe einiger Badewannen ausfüllte, und das offensichtlich mit Meerwasser vollgelaufen war. Im Wasser knieten zwei Männer. Beide trugen keine Hemden und hatten das lange Haar eigenartig zu Dutzenden kleiner Zöpfe geflochten. Ihre Haut war mit wilden Wirbeln und geschwungenen Mustern überzogen, die mit dunkler Tinte gemalt waren. Die zwei hielten die Augen geschlossen, hatten die Hände im Meerwasser gespreizt und murmelten ununterbrochen vor sich hin. Ihre Haut wirkte verschrumpelt, und sie zitterten vor Kälte.
»Die Hexenmeister«, murmelte Tavi.
»Nein«, erwiderte Kitai, »die nicht.«
Tavi sah sie stirnrunzelnd an.
»Ich habe Demos gebeten, mir diese Hexer zu zeigen«, sagte sie und ging durch das Halbdunkel auf eine Seite des Frachtraums. »Dabei sind mir die hier aufgefallen.«
Tavi folgte ihr blinzelnd. Im Dämmerlicht konnte er kaum etwas erkennen, doch seit der Bund zwischen ihm und Kitai bestand, konnte er auch bei Nacht viel besser sehen als früher. Sie wartete geduldig, bis sich seine Augen an das trübe Licht gewöhnt hatten, und er entdeckte, was sie ihm zeigen wollte.
Ketten. Vier kräftige Ringe waren in die Seite des Schiffes eingelassen, vielleicht jeweils einen Fuß weit auseinander und vier Fuß über dem Boden. An jedem Ring hingen zwei Handschellen aus schwerem Eisen, die ohne Hilfe von Elementaren wohl kaum zu sprengen wären - und jeder, der dort angekettet war, würde gezwungenermaßen vom hölzernen Rumpf des Schiffes umgeben und so von jeglicher
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