Der Puls von Jandur
klappern, gleich würden sie um die Ecke biegen. Ihm blieb keine Wahl.
Er spurtete los und verschwand in letzter Sekunde hinter dem Wagen. Die Strauße begrüßten die Barcas mit einem heiseren Meckern.
»Jaja, ich komm schon, meine Süßen«, rief der Zwerg.
An der Rückseite des Wagens führte eine hochgeklappte Holztreppe ins Wageninnere. Matteo kletterte hinauf und kroch hinein.
Drinnen war es düster, nur durch einen querlaufenden Spalt an der Frontseite fiel ein wenig Licht. Kein Zweifel, der Zwerg war ein Händler.
Wie konnte man so viel Krimskrams besitzen? Der Wagen war bis obenhin vollgestopft. Da standen Fässer, Säcke, Truhen und sogar kleine Möbelstücke, wie Stühle, Hocker und Kommoden. Obenauf türmten sich Flaschen, Dosen, Holzschatullen und Geschirr. Die übrigen Winkel waren mit Stoffballen, Kissen, Decken und Kleidungsstücken ausgestopft. Alles war mit Seilen festgezurrt. Von der Decke baumelten getrocknete Kräuter, Knoblauch- und Zwiebellianen neben Seifenstücken und Badeschwämmen.
Das einzig mögliche Versteck war eine schmale Pritsche, die mit Kissen und Decken bestückt war. Ganz offensichtlich das Bett des Zwerges.
Matteo tastete sich nach vorn, bemühte sich nirgends anzustoßen (was eine wahre Höchstleistung war) und schlüpfte unter die Decke. Die Pritsche war viel zu kurz, er musste die Knie anziehen, um überhaupt Platz zu haben.
Er machte einen letzten Kontrollblick, ob auch kein Körperteil hervorguckte, dann zog er sich die Decke über den Kopf. Der Gestank nahm ihm fast den Atem, bestimmt wuselte es in dem vermoderten Stofffetzen nur so von Krabbelviechern. Flöhe, Läuse oder Motten, zählte er in Gedanken auf. Wanzen?
Hufgeklapper. Erst an der Längsseite, dann hinter dem Wagen. Anscheinend band der Zwerg die Barcas dort fest. Und Lith? Erneutes Hufgeklapper in die andere Richtung. Logisch, seinen kostbaren Fang wollte er nicht aus den Augen lassen. Als Nächstes Geräusche an der Frontseite, gefolgt von zweistimmigem Krächzen. Der Wagen schwankte, als der Zwerg auf den Kutschbock stieg. Ein Schnalzen, ein Sirren – eine Peitsche? –, und das Gefährt ruckelte an.
»Immer tüchtig vorwärts, ihr Herzchen«, feuerte der Zwerg die Strauße an. »Lange genug gedöst, jetzt wird gearbeitet.«
Wieder die Peitsche, sie kamen in Fahrt, die Barcas fielen in Trab, dann in Galopp. Erleichtert schlug Matteo die Decke zurück und schöpfte Luft. Viel länger hätte er es darunter nicht mehr ausgehalten.
Er spähte durch den Spalt ins Freie. Direkt vor ihm, etwa eine Armlänge entfernt, saß der Zwerg, Zügel und Peitsche in den Händen. Die Strauße spreizten die Flügel und warfen die Beine. Meine Güte, konnten die schnell laufen! Wahrscheinlich musste sie der Zwerg auch noch zurückhalten, damit sich sein fahrbares Eigenheim nicht in seine Bestandteile zerlegte. Es grenzte an ein Wunder, dass hier drinnen trotz der Schaukelei alles an Ort und Stelle blieb.
Liths Barca galoppierte neben dem Wagen her. Ab und zu blitzte ein grüner Haarschopf auf, mehr war von der Squirra nicht zu sehen.
Matteo glitt wieder zurück auf die Pritsche. Was er brauchte, war ein Plan.
Sollte er dem Zwerg sein Messer in den Hals rammen? Ihn heimtückisch ermorden? Vom Prinzip her keine große Sache, den Arm würde er schon durch den Spalt zwängen können und der Zwerg ahnte nichts. Aber …
Bist du irre? Du bist doch kein Mörder!
Nein, es musste eine andere Lösung geben.
Grübelnd wankte Matteo durch den Wagen nach hinten. Das Gerümpel machte einen Heidenlärm, der Zwerg konnte ihn nicht hören, ausgeschlossen. Zumindest in dieser Hinsicht durfte er also entspannt sein.
Eine hohe Flasche aus dunkelgrünem Glas erregte seine Aufmerksamkeit. Ideal, um jemandem eins überzuziehen. Doch die K.-o.-Variante hatte einen gravierenden Nachteil: Die Flasche passte nicht durch den Spalt. Ebenso wenig der Hammer und der Krug. Das abgebrochene Stuhlbein wiederrum war zu dünn, um dem Zwerg eine ernsthafte Verletzung zuzufügen.
Ernüchtert setzte sich Matteo auf die Pritsche.
Der Zwerg würde seine Gefangene auf dem schnellsten Wege loswerden wollen, also ging er davon aus, dass sie ihr Ziel noch heute erreichten. So neugierig Matteo auch auf diese dubiose Quellbruderschaft war, Lith konnte er unmöglich im Stich lassen. Sie war in größter Gefahr – und zudem sein Schlüssel zur Kaiserin. Er brauchte sie, so einfach war das.
Okay, was konnte er sonst tun? Über das Wagendach nach vorn
Weitere Kostenlose Bücher