Der Puppen-Galgen
D!
Plötzlich strahlte es auf. Auch das Gesicht der Frau wurde von dieser Farbe erfaßt.
Irielle wußte nicht, was mit ihr geschah. Sie war völlig durcheinander. Ihr war allerdings klar, daß dieser Besuch etwas Unheilvolles ankündigte.
Der Anfang war gemacht.
Es würde weitergehen.
Und die Hände griffen zu. Sie umkrallten die Schulter. Sie blieben noch für einen Moment an der Stelle in einer absoluten Ruhe. Dann rissen sie den Körper hoch.
Zugleich drang das Fauchen aus dem Mund des Besuchers, der seinen Mund geöffnet hatte. Zwei Zähne sah Irielle.
Spitze Zähne, ungewöhnlich lang und wie geschliffen. Sie wußte plötzlich Bescheid. Erinnerungen taumelten durch ihren Kopf.
Erinnerungen an alte Gesichter, böse Märchen und unheimliche Legenden, die man sich in aller Welt erzählte, die auch Unterschiede aufwiesen, aber im Prinzip gleich waren.
Irielle hatte Besuch bekommen, und jetzt wußte sie auch, wer sie da aus der Totenkiste geholt hatte.
Ein Vampir!
***
Der Blutsauger zerrte sie aus dem Sarg und stellte sie rechts davon ab.
Sie wäre gekippt, denn allein hätte sie nicht auf den Füßen stehen können. Als sie dann zur Seite fiel, griff der Vampir zu und hielt sie fest.
Er hatte sie gegen seinen ausgestreckten Arm fallen lassen und stützte sie dort ab wie eine Beute.
Blutbeute!
Der Gedanke irritierte Irielle. Ihr war bekannt, daß Vampire nur durch das Blut ihrer Opfer überleben konnten. Und die Opfer waren Menschen. Wie sie.
Zwar war sie scheintot, aber nicht blutleer und auch nicht richtig tot. Mit dem alten Blut toter Menschen konnte sich ein Vampir nicht zufriedengeben.
Aber er biß nicht zu. Noch nicht. Er zog seine Beute ein Stück zur Seite, und die Füße der Scheintoten schleiften dabei über den Boden, denn sie selbst konnte sich nicht bewegen.
Der Widergänger schob sie bis zu einer bestimmten Stelle an der Wand, wo er sie mit dem Rücken gegen ein breites und hohes Holzbrett lehnte.
Mit einer Hand hielt er sie fest und bewahrte die Frau von dem Fallen. Er starrte ihr ins Gesicht, wartete noch eine Weile, dann sprach er sie an.
Seine Stimme klang dunkel, zugleich dumpf und dabei etwas hallend.
»Ich habe dich gerettet, und ich werde auch dafür sorgen, daß du deinen jetzigen Zustand wieder verlierst. Du weißt, daß ich etwas Besonderes bin, einer, der sich vom Blut der Menschen ernährt. Auch du wirst dich daran gewöhnen müssen, und du wirst mir vor allen Dingen deine Dankbarkeit beweisen. Du wirst in meinen Plan hineinpassen und alles tun, was ich dir sage. Noch ist es Zeit, noch können wir die von mir geplante Veränderung durchführen.«
Irielle Fenton war nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Nicht einmal mit den Augen, denn auch sie bewegten sich nicht. So sprach der Vampir weiter, und sie hörte jedes Wort.
»Ich werde dir jetzt meinen Namen nennen. Ich heiße Will Mallmann. So habe ich jedenfalls in meinem menschlichen Leben geheißen. Aber jetzt höre ich auf einen anderen Namen. Dracula II. Ich sehe mich als legitimer Nachfolger des großen Vlad Dracula an, und ich mache in seinem Sinne weiter, auch wenn ich dabei neue Wege beschreite. Ich werde dich lehren, in meinem Sinne zu leben, und ich werde dir meine Welt zeigen. Du wirst etwas mitnehmen, denn dort werde ich dir und deinen Freunden die Bluttaufe zukommen lassen. Ich weiß, daß du viele Fragen hast, aber ich werde dir keine beantworten. Erst später, wenn du geschworen hast, mir zu folgen, eröffne ich dir meinen Plan. Die Nacht hat gerade erst begonnen. Wir haben Zeit, viel Zeit, und der Weg zu deinem Haus ist frei. Nicht nur das, auch zu deinen Puppen, Melle Fenton, denn sie sind für mich wichtig, sogar sehr wichtig…«
Die Scheintote hatte alles gehört und auch jedes Wort verstanden. Nur war sie nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Sie hätte es gern getan, denn sie hatte sich innerlich auf ihre neue Existenz eingestellt.
Mallmann hatte sie aus dem Sarg geholt. Was gab es Besseres und Schöneres? Ein neues Leben lag vor ihr, auch wenn es anders war als das alte, aber sie würde nicht in der Erde vermodern.
Es gab eine neue Perspektive!
Dracula II lächelte. Er zerrte dabei seine Lippen zurück, und die Frau schaute auf seine langen, angespitzten Zähne. Er behielt das Lächeln bei, als er sagte: »Es wird eine wunderbare Zeit werden, das kann ich dir versprechen…«
Melle wollte nicken.
Sie konnte es nicht.
Eines allerdings ließ sich auch bei einer Scheintoten nicht
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