Der Puppendoktor
spitzte die Ohren.
»Die vom Labor sagen, der Typ, der das gemacht hat, muss ein Profi sein. Gute Arbeit, sauber, präzise. Bei allen Leichen wurde dieselbe Säge benutzt. Eine Säge aus Kohlenstofffaser, wie Chirurgen sie benutzen. Kein Staub, keine Fasern von Kleidung, nichts. Nur winzige Plastikspuren, die an der Haut der Leichen kleben.«
»Vielleicht hat er sie in Wachstuch gewickelt .«
»Vielleicht. Nach der Präzision der Schnitte zu urteilen, ist anzunehmen, dass er in einer Metzgerei oder in einem Krankenhaus gearbeitet hat. Und er hat keine Brücke oder Zahnprothese: Er hat die Stücke, die fehlen, direkt mit den Zähnen herausgerissen.«
»Ein kannibalischer Chirurg vielleicht?«, erwiderte Rudy.
»Ja, oder er hat einen falschen Kiefer, wie in Dragon Rouge.«
Marcel fragte sich, was Dragon Rouge sein mochte. Ein Krimi wahrscheinlich. Er las nie Krimis, fand sie irgendwie deprimierend. Er las sowieso wenig. Keine Zeit, und er war nicht daran gewöhnt. Hin und wieder die Comics der Kinder und die Zeitung. Damit war sein Kopf schon voll gestopft.
Die anderen kamen zurück. Lärm von männlichen Stimmen, x-mal wiederholte Sticheleien, Gelächter. Jean-Mi, Paulo und Ben zogen Marcel wegen seiner mit gelben Ananas bedruckten Boxershorts auf, die er von seinen Kindern zum Vatertag geschenkt bekommen hatte. Jean-Jean und der große Rudy entfernten sich in ihrem Cowboygang.
KAPITEL 3
Der alte blaue Lieferwagen parkte vor dem Hauseingang. Auf der anderen Straßenseite, über dem Credit Foncier, zeigten Leuchtziffern Uhrzeit und Temperatur an: 23.15 Uhr, 27°. Der Lieferwagen war leer, der Boden der Ladefläche mit einer Plane bedeckt.
Im zweiten Stock öffnete sich leise die Wohnungstür. In eine schwarze Öljacke eingehüllt - etwas sonderbar in einer schönen Sommernacht wie dieser - trat der kleine Mann ein. Er schwitzte wie in einem Brutkasten. Er trocknete sich die Stirn, von der ihm der Schweiß in die Augen floss. Er hätte ein Haarband überziehen sollen, wie die Tennisspieler es trugen, dachte er verärgert.
Die Wohnung lag vollkommen im Dunkeln. Der kleine Mann blieb stehen, lauschte. Ein kräftiges Schnarchen führte ihn ins Schlafzimmer. Er stieß die Tür auf. Das Schnarchen ging unvermindert weiter. Auf leisen Sohlen trat er in das kleine Zimmer, schaltete für eine Sekunde seine auf den Boden gerichtete Taschenlampe an. Der Dicke schlief friedlich, ausgebreitet wie ein übervoller Müllsack. Der kleine Mann beugte sich über ihn, ein Schatten im Schatten. Der Dicke öffnete plötzlich die Augen.
»Wer ist da?!«
»Kapitän Haken«, murmelte der kleine Mann und öffnete ihm mit einem einzigen Schnitt seines Rasiermessers die Kehle.
Das Blut spritzte bis zur Decke, als käme es aus einem Geysir. Wie ein Ertrinkender ruderte der Dicke mit den Armen, dann immer langsamer, nur noch stoßweise. Der kleine Mann, der in seiner Öljacke bestens gegen das Blut geschützt war, machte sich daran, Traggurte, die er wohlweislich mitgebracht hatte, unter den Sterbenden zu schieben.
Der Körper zuckte ein letztes Mal. Bevor er ging, stach der kleine Mann ihm zum Spaß mit dem geschärften Rasiermesser ein Auge aus, das linke, und legte es in das Wasserglas auf dem Nachttisch. Ein Auge, das war lustiger als ein Gebiss, schließlich musste man den Bullen ein wenig Abwechslung bieten …
Der alte Mieter im dritten Stock wälzte sich gestört im Schlaf. Er fragte sich, wer zum Teufel nachts auf der Treppe Ball spielte. Als der Lieferwagen losfuhr, war er schon wieder eingeschlafen.
Marcel versuchte gerade, ein dickköpfiges, aber aufreizendes Weibsbild zu überreden, ihren Porsche nicht ausgerechnet unter dem Schild mit dem Abschleppzeichen zu parken, als ein alter Mann seinen Arm packte und schüttelte.
»Herr Wachtmeister, Herr Wachtmeister!«
»Sehen Sie nicht, dass ich beschäftigt bin! Einen Augenblick! Und Sie, Sie fahren jetzt Ihren Wagen weg, oder ich verpasse Ihnen ein Strafmandat!«
»Mein Mann ist Anwalt - der lässt sich nicht so einfach aufs Kreuz legen!«
Dich würde ich gern aufs Kreuz legen, dachte Marcel flegelhaft und schielte auf die BH-Körbchen Größe 95C der dreisten Person.
»Herr Wachtmeister, mein Nachbar, wissen Sie, er antwortet nicht …«, beharrte der Alte.
»Und was, glauben Sie, soll ich da machen? Madame! Madame! Warten Sie, Sie dürfen Ihren Wagen hier nicht stehen lassen! Kommen Sie zurück!«
»Kann ich nicht, ich habe einen Zahnarzttermin. Schreiben Sie mir
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