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Der Puppendoktor

Der Puppendoktor

Titel: Der Puppendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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einen saftigen Strafzettel aus, wenn es Ihnen Spaß macht, Herr Wachtmeister.«
    Das Weibsbild trippelte auf seinen Stöckelschuhen davon, begleitet vom Klirren seines Goldschmucks. Marcel trocknete sich die Stirn. Der Alte zerrte noch immer an seinem Arm.
    »Ich heiße Ange Garetti«, fuhr er fort. »Ich bringe ihm jeden Tag sein Baguette, meinem Nachbarn, meine ich. Er hat nicht geantwortet, und da er's am Herzen hat …«
    »Gut, ich komme, ich komme.«
    Verdammte Bande von Hysterikern! Und während er dem kleinen Alten folgte, der ein erstaunliches Tempo vorlegte, überkam Marcel plötzlich eine unbändige Lust auf ein italienisches Eis. Hasserfüllt sah er einen Jungen, ein Rotschopf wie er selbst, eines schlecken - noch dazu Pistazie, sein Lieblingseis. Verfluchte Touristen.
    Der Alte rannte jetzt fast. Drei Straßen weiter zog er Marcel in ein altes Haus. Im Vorübergehen bemerkte Marcel die zerbeulten Briefkästen, die angeschlagenen Kacheln. Höchste Zeit für eine Renovierung. Im Laufschritt ging es die rot gefliesten Stufen hinauf. Marcel nutzte die Gelegenheit, um auf Zehenspitzen zu gehen, das war gut für die Waden. Uff, Garetti war im zweiten Stock vor einer halb geöffneten Tür stehen geblieben. Marcel trocknete sich den Nacken.
    »Die Tür ist ja offen! Sie hätten doch reingehen und nachsehen können, oder?«
    »Man kann nie wissen, vielleicht sind Einbrecher drinnen, gehen Sie vor .«
    Marcel zuckte die Achseln und trat ein, die Hand am Revolver.
    »Polizei! Ist da wer?«
    Keine Antwort. Kein Geräusch. Ein dunkler Flur, in dem es muffig und ranzig roch, drei Türen mit abblätternder Farbe. Ein unangenehmes Gefühl überkam ihn, und es kribbelte in seinen Händen. Er fühlte plötzlich die Gewissheit, dass der Mieter tot war. Es war, als wäre es unvermittelt kalt in der Wohnung geworden. Er hasste es, Tote zu sehen, er bekam Albträume davon.
    Widerwillig öffnete er die erste Tür, seufzte erleichtert: ein Badezimmer, dreckig und leer. Er stieß die Nachbartür auf: eine Fünfziger-Jahre-Küche aus gelbem Resopal mit Hunderten von Pizzaschachteln, die sorgfältig an den Wänden gestapelt waren. Man hörte den Kühlschrank surren. Dicke Schaben stoben im Spülbecken panikartig auseinander. Marcel hasste Schaben mindestens ebenso wie Leichen. Er schaltete das Licht aus und stellte sich das Gewimmel der Insekten vor, zog schnell die Hand vom Schalter. Dritte und letzte Tür. Marcel zögerte eine Sekunde, spürte den scharfen Blick des Alten im Nacken. Also los. Die Tür öffnete sich in ein verdunkeltes Schlafzimmer.
    Marcel blieb einen Moment auf der Schwelle stehen, damit sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Das Bett, ein Doppelbett, war zerwühlt. Leer. Auf den abgeblätterten Wänden große dunkle Flecken. Marcel trat ans Fenster, stieß die Läden auf, blinzelte, vom Sonnenlicht geblendet, drehte sich um und gab ein »Verdammt!« von sich.
    Das Blut war überallhin gespritzt bis hinauf an die Decke, wo es zu winzigen Stalaktiten getrocknet war. Weder Marcel noch Ange Caretti sagten ein Wort. Der Alte begann zu stöhnen und die Hände zu ringen. Marcel zog automatisch den Revolver, näherte sich dem Bett und atmete durch den Mund, die Zähne fest zusammengebissen. Als er sich vorbeugte, bekam er eine Gänsehaut.
    Die zerwühlten Laken, steif von Blut. Die zurückgebliebene Mulde eines wahren Kolosses. Der gläserne Lampenschirm blutbespritzt. Auf dem Nachttisch ein Wasserglas mit etwas darin. Bloß nichts anfassen!
    »Rühren Sie bloß nichts an!«, schrie er dem Alten über die Schulter hinweg zu.
    »Keine Sorge, kenn ich aus Fernsehkrimis, man muss die Spurensicherung abwarten, stimmt's?«
    »Genau.«
    »Er muss tot sein, der arme Laurent, sie haben ihn abgestochen wie ein Schwein .«
    Marcel beugte sich vor, um den Inhalt des Wasserglases zu begutachten, und zum zweiten Mal in seiner Karriere erbrach er sich über seine Schuhe.
    »Also, wenn wir so was an der Front gehabt hätten! Wegen solchen wie Ihnen haben wir den Krieg verloren!«, schimpfte Ange Caretti und hüpfte empört von einem Fuß auf den anderen.
    »Holen Sie mir einen Wischlappen, verflixt noch mal!«, keuchte Marcel und richtete sich auf.
    Der Alte entfernte sich murrend. Marcel schaltete sein Walkie-Talkie ein.
    Das Auge im Wasserglas war blau, von gelben Fasern durchzogen.
    Als er am mutmaßlichen Ort des Verbrechens eintraf, war Capitaine Jeanneaux nicht sonderlich gut gelaunt. Von Costello gefolgt, nahm

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