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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Hause.»
     
    Brunos Aussage muss ungefähr zu dem Zeitpunkt aufgenommen worden sein, als Ben Brittas Kopf auf Trudes Küchentisch legte. Während Trude die welken Salatköpfe einsetzte, hetzte Ben hinter seiner jüngsten Schwester her, den Feldweg entlang. Geschüttelt von Entsetzen und würgendem Ekel weinte Tanja nicht, schrie auch nicht mehr, murmelte stattdessen Wortfetzen, die niemand hätte verstehen können. Die Augen weit aufgerissen, sah sie kaum etwas anderes als Brittas Kopf, der dreizehn Jahre lang neben ihr im zweiten Bett auf dem Kissen gelegen, mit dem sie sämtliche Geheimnisse und Zukunftspläne geteilt hatte.
    Zweimal hatte Ben nach ihrem Arm gegriffen, zweimal hatte sie ihn in die Seite gestoßen, hatte ihn angefaucht: «Geh weg! Du bist schuld. Du hättest bei ihr bleiben müssen!» Hatte danach wild aufgeschluchzt und ihr Tempo gesteigert. Nun hielt er sich einige Meter hinter ihr. Er wurde langsamer, als sie den Mais erreichte und daran vorbei auf Lukkas Bungalow zulief.
    Heinz Lukka war mit einer Rosenschere im Vorgarten beschäftigt. Er sah sie kommen und Ben dicht hinter ihr. Er sah die Panik in ihrem Gesicht, verließ den Garten, stellte sich ihr in den Weg und fing sie mit ausgebreiteten Armen auf.
    «Na, na», sagte er besänftigend. «Du läufst doch nicht etwa vor deinem Bruder weg?»
    Da kamen die Bröckchen, wirr und sinnlos, aber jeder hätte zumindest den Satz verstanden: «Er hat Mama Brittas Kopf gebracht.»
    Heinz Lukka schloss sekundenlang entsetzt die Augen, fing sich wieder und meinte: «Und jetzt willst du zu Onkel Paul und ihm das erzählen. Das wäre aber nicht gut. Das wollen wir lieber der Polizei überlassen.» Während er sprach, führte er sie langsam durch den Vorgarten auf die Haustür zu.
    Als Heinz Lukka die Tür schloss, fuhr Jakob den alten Mercedes in die Scheune. Er hatte einen weiten Bogen genommen für den Heimweg und sich überzeugt, dass die Bahn draußen frei war. Nun wollte er tun, was Antonia verlangt hatte; er wollte Ben dazu bringen, das Rad wieder dorthin zu legen, wo er es fortgenommen hatte.
    Jakobs erster Weg führte die Treppe hinauf. Die Tür stand offen, Bens Zimmer war leer. Als er das Haus betrat, hatte er mit einem Blick gesehen, dass Trude nicht in der Küche war. Er nahm an, sie sei ihm zuvorgekommen. Doch als er wieder hinunterkam, stand sie vor dem Tisch, rieb und wischte, scheuerte mit einem nassen Lappen so heftig über die Platte, dass ihr das Haar in die Stirn hing.
    Etwas in Jakob kochte über. Er wusste nicht, ob es Wut oder Verzweiflung war. Ihrem Treiben schenkte er keine Beachtung. Er fragte nach dem Rad, hörte, dass es in der Scheune lag, und brüllte los. Was ihr in den Sinn gekommen sei, Ben rauszulassen? Was noch alles passieren müsse, ehe sie zur Vernunft käme und einmal über alles nachdenke, wie ein erwachsener Mensch?
    Trude hörte für einen kurzen Moment mit der Wischerei auf, strich sich mit der linken Hand das Haar aus der Stirn und erklärte sanft: «Er ist auch ein Mensch. Ein Tier bringt nämlich keine Disteln heim, um seiner Muttereine Freude zu machen. Du hättest ihn nicht schlagen dürfen, nur weil er das Rad gefunden hat.»
    «Und das Messer?», brüllte Jakob. «Hat er das auch nur gefunden?»
    Eine Antwort bekam er nicht. Als er bemerkte, dass Trude mit ihren Kräften am Ende war, atmete er tief durch. «Ist er schon lange weg?»
    «Nein», sagte sie nur und scheuerte weiter über die Tischplatte.
    Jakob blickte zur Decke hinauf, um nicht den Rest seiner Beherrschung zu verlieren. «Wann hast du ihn rausgelassen?»
    Ebenso monoton, wie sie seine erste Frage verneint hatte, erzählte sie, dass sie Ben ein Frühstück gebracht und ihn danach ein wenig auf den Hof gelassen habe, nur auf den Hof und ein paar Schritte ums Haus herum. Dann sei Tanja gekommen, habe ein Weilchen mit ihm gespielt und sei wieder zu Antonia gegangen. Und Ben habe seine Schwester begleitet. Da müsse man sich keine Sorgen machen, dass ihr unterwegs etwas zustieß.
    Es war Jakob mit jedem Satz schwerer gefallen, ihr ruhig zuzuhören. Das ausdruckslose Gesicht und die unermüdlichen Hände auf der Tischplatte, die vorgebeugten Schultern und das wirre Haar, die Augen, in denen blanker Irrsinn flackerte und leuchtete, alles zusammen widerlegte, was sie gerade gesagt hatte.
    Jakob stolperte aus der Küche, durch den Hausflur und die Stufen vor der Tür hinunter. Den Wagen aus der Scheune zu holen kam ihm nicht in den Sinn. Er hetzte auf

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