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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Auto zu tun haben könnte. Sie nahm an, es läge an Jakob, mit dem er nicht gerne allein in engen Räumen war.
    Als sie im Saal von Ruhpolds Schenke eintrafen, waren die Plätze fast alle schon eingenommen. Es gab Kärtchen vor jedem Gedeck. Die Jensens saßen am Ende der langen Festtafel. Weil daran nicht alle Gäste Platz fanden, waren noch Tische an den Seiten verteilt. Auf einem davon entdeckte Jakob seinen Namen.
    Ben ließ sich widerstandslos auf den Stuhl niederdrücken. Dann saß er so, wie Trude ihn sich in der Kirche gewünscht hatte, still und andächtig, den Blick unverwandt auf das Ende der langen Tafel gerichtet. Nicht einmal schaute er dorthin, wo das Brautpaar, wo auch Tanja und Britta saßen.
    Es machte Trude ganz hilflos. Armer Ben! So ein hübsches Mädchen und so verzogen, bis zum Kragen des Festkleides voll mit der Arroganz der Schönheit. Trude gab ihr Bestes, ihn mit Pastetchen, Suppe, Braten und diversen Eis- und Puddingsorten abzulenken. Es half jeweils nur für kurze Zeit. Nach dem Essen versuchte sie es mit einem Spaziergang. Er folgte ihr nur deshalb bereitwillig, weil auch Marlene Jensen hinausging, um sich die Beine zu vertreten. Dabei wurde Marlene von einem jungen Mann begleitet, ein Verwandter von WilmrodsSeite. Trude kannte ihn nicht. Er mochte etwas jünger sein als Ben. Auf Trude machte er einen albernen Eindruck.
    Beim Kaffee saßen sie wieder an ihrem kleinen Tisch. Ben zerbröselte ein Stück von der Hochzeitstorte, brauchte fast eine halbe Stunde, um die Krümel vom Teller zu picken, weil er die Augen nicht von Marlene Jensen ließ.
    Nach dem Kaffee lockerte sich die Runde. Jakob ging nach einigem Zögern hinauf an die Festtafel, setzte sich zu Paul und sprach mit ihm über dies und das. Antonia kam zu Trude und prüfte verstohlen, ob das dunkle Samtband, das Ben statt einer Krawatte unter dem Hemdkragen trug, nicht zu fest gebunden war. Auch Antonia bemerkte seinen sehnsüchtigen Blick und trug den beiden Mädchen auf, sich ein wenig um Ben zu kümmern. Aber da war nicht viel zu tun, es half kein Streicheln, kein Locken. Er saß nur da und schaute Marlene an.
    Am Abend gab es ein kaltes Büfett, Trude häufte ihm einen Teller voll Köstlichkeiten auf, achtete darauf, dass er sein Hemd nicht mit Mayonnaise beschmierte, und begriff endgültig, dass es Dinge gab, die sie nicht für ihn tun konnte.
    Er hatte nicht weniger Gefühl als Albert Kreßmann, der Annette Lässler unter dem Tisch über die Beine streichelte und dabei gleichzeitig Marlene Jensen mit den Augen verschlang. Er hatte nicht weniger Verlangen als Dieter Kleu, der mit ein paar großen Tönen Marlenes Aufmerksamkeit erringen wollte. Er hatte nicht weniger Herz als Achim Lässler, der nach dem Abendessen losfuhr, seine Freundin zu holen. Er hatte nicht weniger Lust als Bruno Kleu, der Maria Jensen verstohlen musterte. Er hatte nicht weniger Liebe als Uwe von Burg, der Bärbel in diesen Stunden eine zweite Hochzeit versprach. Undnicht weniger als Andreas Lässler, der die Vorfreude auf die bevorstehende Nacht genoss.
    So wie an diesem Tag hatte Trude ihren Sohn noch nie erlebt. Dass er Stunde um Stunde auf einem Stuhl sitzen konnte. Sich erinnerte und sich wunderte, dass die, die so freundlich zu ihm gewesen war, ihm weder ein Wort noch ein Lächeln schenkte.
    Es entging Marlene Jensen nicht, dass er keinen Blick von ihr ließ. Bei jedem anderen hätte sie es genossen, aber ausgerechnet Ben! Sie machte Erich darauf aufmerksam. Er winkte ab. Es war nicht verboten, ein Mädchen anzuschauen. Auch wenn man sich stundenlang damit aufhielt, war es noch kein Verbrechen. Verbieten konnte man es keinem, nicht einmal Bruno, und dessen Blicke auf Maria waren Erich unangenehmer.
    Nach dem Büfett gab es Musik und Tanz. Das Brautpaar eröffnete mit einem Walzer, andere schlossen sich an. Gezwungenermaßen führte Erich Jensen seine Frau auf die Tanzfläche, bevor Bruno Kleu sich erdreisten konnte, Maria aufzufordern. Jakob hätte auch gerne einmal getanzt. Aber Trude wagte es nicht, blieb an Bens Seite, bis Antonia sie für zehn Minuten ablöste.
    Von der Tanzfläche aus sahen sie, dass Antonia Ben etwas zuflüsterte und ihn dann zu ihrer Nichte führte. «Einmal streicheln darfst du», sagte Antonia. Marlene Jensen lächelte gequält, wagte es jedoch nicht, Einwände zu erheben, um sich die Sympathie ihrer Tante nicht zu verscherzen. Ihr Protest kam lange Monate später, als Ben sich ihr in den Weg stellte.

AUGUST 1995, DER

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