Der Puppengräber
erst im Oktober achtzehn, er durfte zwar als Sohn eines Landwirts einen Traktor fahren, besaß aber noch keinen Führerschein der Klasse drei. Trotzdem benutzte er das Auto seiner Mutter, wie es ihmbeliebte. Allerdings war das nicht der Grund, aus dem Marlene sein Angebot ablehnte.
Sie hatte sich zu Jahresbeginn einmal mit Dieter verabredet. Unsympathisch war er ihr nicht. Er sah gut aus, war ein erstklassiger und ausdauernder Tänzer und hatte – was einen besonderen Wert darstellte – stets ein Auto zur Verfügung. Aber ihre ansonsten so verständnisvolle Mutter hatte Zustände bekommen und Dieter als Bauerntrampel bezeichnet, als Marlene erklärte, mit wem sie ausgehen wollte. Und bei aller Sympathie, ein Risiko ging Marlene lieber nicht ein.
Aber noch hatte Dieter Kleu die Hoffnung nicht aufgegeben. Er tröstete sich an diesem Abend mit Marlenes Freundin, versuchte, sie als Vermittlerin zu gewinnen, und fuhr sie kurz vor zwölf heim. Zu diesem Zeitpunkt amüsierte sich Marlene Jensen mit zwei jungen Männern aus Lohberg, die niemand kannte.
Etwa eine Viertelstunde nach Dieter Kleu und Marlenes Freundin brachen auch Albert Kreßmann und Annette Lässler auf. Albert verabschiedete sich von Marlene mit dem Hinweis, er käme in einer Stunde zurück, um sie abzuholen. Das war ihr recht. Sie ging nicht davon aus, dass ihr Vater bei seiner Rückkehr ihr Zimmer kontrollierte. Aber er hätte etwas hören können, wenn sie zu früh wieder einstieg. Um halb zwei in der Nacht würde er fest schlafen.
Dass Albert Kreßmann sie nicht sofort mit zurück ins Dorf nehmen wollte, war leicht zu erklären. Er plante mit Annette Lässler noch einen Abstecher zu einem stillen Fleckchen, dabei hätte Marlene nur gestört. Allerdings machte Albert vor seinem Aufbruch eine Bemerkung, die Marlene beunruhigte. Er wollte ihr zeigen, welche Plätze ihre Cousine besonders liebte und welche Stellungen sie bevorzugte.
Es war nicht das erste Mal, dass Albert Kreßmann eine derartige Anspielung machte. Bisher hatte Marlene ihn nicht ernst genommen. Nur war sie bisher auch noch nie mit ihm allein gewesen. Alberts Vater, Richard Kreßmann, war der reichste Mann im Dorf. Albert war seit frühester Jugend daran gewöhnt, dass man für Geld so ziemlich alles kaufen konnte. Wenn sich einmal etwas nicht kaufen ließ, konnte er sehr unangenehm werden.
So stieg Marlene Jensen kurz vor eins lieber in das Auto der beiden jungen Männer, mit denen sie an diesem Abend die meiste Zeit verbracht hatte, von denen sie jedoch nur die Vornamen kannte – Klaus und Eddi. Auf dem Parkplatz kam es dann noch zu einer Schlägerei. Dieter Kleu hatte Marlenes Freundin vor der Haustür ihrer Eltern abgesetzt, war längst wieder zurück und versuchte es mit einer kleinen Erpressung: «Wenn du nicht mit mir fährst, erzähle ich deinem Vater …»
Eddi und Klaus verwiesen ihn gemeinsam in seine Schranken. Klaus hielt ihn fest, Eddi verpasste ihm ein blaues Auge und eine blutige Nase. Mit einem letzten Hieb in den Magen setzte er Dieter für einige Sekunden völlig außer Gefecht. Dann stieg Eddi hinters Steuer, Klaus nahm im Wagenfond neben Marlene Platz.
Anfangs schien es, als täte Eddi das, was er versprochen hatte. Er fuhr zur Landstraße, die nach vier Kilometern – ab dem Dorfrand – Bachstraße hieß und sich über zwei Kilometer durch den gesamten Ort zog. Vor dem Ortseingang zweigte nach rechts ein schmaler asphaltierter Weg ab, der hinaus zum Hof von Marlenes Onkel Paul Lässler führte. Eddi bog in diesen Weg ein, gleichzeitig wurde Klaus zudringlich.
Marlene wehrte sich, konnte jedoch im engen Wagenfond nicht viel ausrichten. Eddi fuhr relativ schnell. Nach etwa dreihundert Metern kreuzte der schmale Wegeinen breiten, der parallel zur Bachstraße verlief und wie die Landstraße nach Lohberg führte. An dieser Wegkreuzung hatte der Rechtsanwalt Heinz Lukka seinen Bungalow bauen lassen. Eddi bog mit unverminderter Geschwindigkeit in den breiten Weg ein. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Marlene den Bungalow wie einen dunklen Klotz an der Kreuzung liegen.
Heinz Lukka war lange Jahre ihr Nachbar am Marktplatz gewesen. Marlene kannte ihn von klein auf und fand ihn ganz nett. Dies umso mehr, weil ihr Vater den alten Rechtsanwalt nicht ausstehen konnte. Im Stadtrat vertraten sie konträre Positionen. Davon abgesehen hatte Heinz Lukka früher ihre Mutter glühend verehrt. In dieser Situation jedoch erwartete Marlene von ihm keine Hilfe. Am
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