Der Putzteufel geht um
zu sein, auch wenn mir der Rock so heftig um die Beine schlug, als wolle er mich vorwärtstreiben, damit ich endlich ins Auto stieg. Drei oder vier Möwen schwebten über unseren Köpfen. Ich lauschte ihrem heiseren Krächzen und hätte sie am liebsten gefragt, ob sie jemals auch etwas Erfreuliches von sich gaben, wenn sie wußten, daß kein Mensch der Nähe war. Und dann hörte ich jemanden – oder etwas – aufschreien. Der Laut wurde vom Meer zu uns hochgeweht. Danach herrschte absolute Stille. Sogar die Möwen hielten den Schnabel, und auch der Wind schien zu verstummen, um die Ohren zu spitzen. Ich wollte mir gerade einreden, daß ich wahrscheinlich schon Stimmen hörte, als Ben eilig zu mir kam. »Was war das?« Er packte meinen Arm. »Ich weiß es nicht.« Ich konnte mich nicht von der Stelle rühren.
Danach hörte man es wieder. Zuerst ein dünner Klageton. Dann folgte ein kräftigerer Schrei, den Ben und ich eindeutig als Hilferuf identifizierten. Ich beugte mich hastig zum Fenster des Wagens und sagte Jonas, er solle bei den Kindern bleiben. »Da unten – am Strand oder im Wasser ist jemand in Not.« Jemand? Ich hatte kaum Zweifel daran, daß es sich bei dem Jemand um Tom Tingle handelte. »Hier, nimm die Reisedecke.« Jonas warf mir die Wolldecke wieder auf den Arm, und ich stürzte hinter meinem Mann her. Es schienen schon Jahre vergangen zu sein, seit wir den ersten Schrei gehört hatten. Als wir die Treppenstufen erreicht hatten, prasselte bereits der Regen auf uns nieder. Seltsamerweise hatte ich nicht die geringste Angst hinzufallen, als ich mich durch die verschwommene Regenwand an den Abstieg machte. Vor meinem geistigen Auge sah ich nur Tom Tingle, der untertauchte, wieder hochkam, um sich schlug, nach Atem rang und anschließend Wasser spuckte wie eine Fontäne. Mit letzter Kraft folgte ich Bens schemenhaft dunkler Gestalt um die Sofalehne zwischen den Buchten. Der schmale Zwischenstreifen lag mittlerweile knöcheltief im Wasser. Ich mußte ständig nach der Felswand greifen, um zu verhindern, daß ich stolperte. Dann konnte ich Ben wieder klar erkennen. Er stand da, wo das Meer begann, schleuderte die Schuhe zur Seite und riß sich die Jacke vom Leib.
»Sei vorsichtig!« brüllte ich. Und dann platschte er mit vorgestreckten Armen ins Wasser, als wolle er kopfüber in die Wellen tauchen. Aber in Wirklichkeit war er kein guter Schwimmer, und mir fiel ein, daß sich hinter den Wellenbrechern ein gefährlicher Sog befand. Vor meinem inneren Auge blitzte mein ganzes zukünftiges Leben auf die Jahre als Witwe mit gebrochenem Herzen, ganz allein zwei kleine Kinder großziehend. Ob Abbey und Tarn sich später noch an ihren Vater erinnern würden? Würde ich mich jemals von meiner Trauer befreien und aufhören können, das Schicksal zu verfluchen? Von Ben war nichts mehr zu sehen, aber ich hörte, wie er dem anderen Menschen im Wasser etwas zuschrie, und selbst durch das laute Klopfen meines Herzens hindurch bekam ich mit, daß eine Antwort zurückgeschrien wurde. Sie schien von nicht sehr weit her zu kommen. Die Hoffnung reckte ihr schwaches Haupt. Trotzdem kauerte ich mich am Rand der Wellen nieder und hielt mir für nichts und wieder nichts die Augen zu, denn außer dem Grau um mich herum gab es eigentlich nichts zu sehen. Das Meer bewegte sich, der Himmel tat es nicht, und das war auch schon alles. Ich hatte die Reisedecke auf dem letzten Stück Weg fallen gelassen. Nun zwang ich mich aufzustehen, sie zu holen und den Sand abzuschütteln. Dann hob ich Bens Jacke auf. Meine Nerven tickten wie ein Uhrwerk, meine Hände flatterten. Ich durchlitt die schlimmsten Angstzustände meines Lebens. Ganze Ewigkeiten lang hörte ich keinen Laut. Dann ertönte plötzlich ein Ruf, aber die Stimme konnte ich nicht ausmachen. Ich hatte gerade den Punkt erreicht, an dem die Panik eiskalter Ruhe weicht, als der Alptraum zu Ende ging. Zuerst hörte ich nur ein lautes Wellenschmatzen, und dann stieg etwas Dunkles, Koloßartiges vor mir aus den Fluten. Es war Ben, meine große, einzig wahre Liebe, der unter der Last von jemand anderem fast zusammenbrach. Dieser andere wirkte bleischwer und leblos…
»Liebling! Ist alles in Ordnung? Ist das Tom? Bist du noch rechtzeitig zu ihm gekommen?« plapperte ich los und lief im Zickzack auf ihn zu, wie eine Betrunkene, mitsamt Reisedecke und Jacke.
»Ja – es ist Tom – es ist alles in Ordnung.« Ben sprach keuchend und atmete stoßweise. Er legte seine Last auf dem Sand ab und
Weitere Kostenlose Bücher