Der Rabbi
Düsternis eines Korridors auf einer alten Holzbank und warteten, bis Reverend Mr.
Rawlings mit einem jungen Mann und einer jungen Frau aus seinem Büro kam.
»Hochzeiten in aller Stille sind immer am besten«, sagte er zu den beiden, sich von ihnen verabschiedend. »Die herzlichste und die würdigste Art, zu heiraten.«
Dann erblickte er das wartende Paar und sagte, ohne den Tonfall zu verändern: »Ah, Leslie.«
Michael und Leslie erhoben sich. Sie stellte ihn vor. »Wollt ihr nicht Tee trinken?«
Er führte sie in sein Büro, und da saßen sie, tranken Tee und aßen Keks, die von einer nicht mehr jungen, undurchdringlich dreinsehenden Frau aufgetragen wurden, und machten mühsam Konversation.
»Erinnerst du dich noch an die Gewürzkeks, die Tante Sally immer gebacken hat?« fragte Leslie ihren Vater, nachdem die Frau das Teegeschirr wieder hinausgetragen hatte. »Manchmal, wenn ich an die Tante zurückdenke, spüre ich den Geschmack direkt noch auf der Zunge.«
»Gewürzkeks?« sagte er, und, zu Michael gewandt: »Sally war meine Schwägerin. Eine brave Frau. Vor zwei Jahren ist sie gestorben. «
»Ich weiß«, sagte Michael.
»Sie hat Leslie tausend Dollar hinterlassen. Hast du das Geld noch, Leslie?«
»Ja«, sagte Leslie, »gewiß.«
Der Pfarrer trug eine randlose Brille; die sehr hellen Augen dahinter beobachteten Michael unablässig.
»Glauben Sie, daß Sie sich im Süden wohl fühlen werden?«
»Ich habe ein paar Jahre in Florida und in Arkansas gelebt«, sagte Michael. »Soweit ich sehen kann, sind Menschen überall Menschen.«
»Wenn man älter wird, merkt man doch einige wesentliche Unterschiede.«
Sie schwiegen. »Ich glaube, wir müssen jetzt gehen«, sagte Leslie und küßte ihren Vater auf die weiche rosige Wange. »Gib acht auf dich, Vater.«
»Das wird der Herr tun«, sagte er, sie zur Tür begleitend. »Ich bin in Seiner Hut.«
»Auch wir«, sagte Michael, aber sein Schwiegervater schien es nicht gehört zu haben.
Zwei Tage später kamen Leslie und Michael in Cypress, Georgia, an.
Es war ein heißer Nachmittag im Frühsommer, der ihnen einen Vorgeschmack von den sommerlichen Temperaturen in dieser Stadt gab. Das bronzene Reiterstandbild des Generals Thomas Mott Lainbridge auf dem Hauptplatz warf die Hitze in sichtbaren Wellen zurück. Michael brachte den Wagen am Rand des grasbewachsenen Rondeaus zum Stillstand, in dessen Mitte sich das Denkmal erhob, und sie warfen einen Blick darauf, von der Sonne geblendet. Sie konnten nur den Namen entziffern.
»Hast du je von ihm gehört?« fragte er Leslie.
Sie schüttelte den Kopf. Er lenkte zum Randstein hinüber, wo vier Burschen vor dem Drugstore im Schatten der Sonnenplane herumlungerten.
»Sir«, redete Michael den einen an, mit dem Daumen auf General Thomas Mott Lainbridge weisend, »wer war denn der Herr?« Der Junge sah seine Freunde an, und sie grinsten. »Lainbridge.«
»Den Namen wissen wir«, sagte Leslie. »Aber was hat er getan?«
Einer der Burschen löste sich träg aus dem Schatten und schlenderte zu dem Denkmal hinüber. Er brachte sein Gesicht nahe an die Tafel am Sockel und studierte sie, während seine Lippen sich lautlos bewegten. Dann kehrte er mit dem Ergebnis seiner Nachforschungen zurück. »Kommandierender General, Second Georgia Fusiliers. «
»Füsiliere waren doch Infanterie«, sagte Leslie. »Was macht er auf dem Pferd?«
»Was?«
»Danke schön«, sagte Michael. »Können Sie uns sagen, wie wir nach Piedmont Road 18 kommen?«
Nach einer Fahrt von drei Minuten hielten sie vor einem kleinen grünen Haus mit baufälliger Veranda und verwildertem Rasen davor. Die Fenster waren schmutzig.
»Sieht hübsch aus«, sagte sie unsicher.
Er küßte sie auf die Wange. »Willkommen zu Hause.« Er erhob sich und schaute die Straße hinunter, auf der ungerade numerierten Seite den Tempel suchend, der Nummer 45 hatte; aber er konnte nicht ausnehmen, welches von den Häusern da vorne wohl sein neuer Amtssitz sein mochte.
»Wart einen Augenblick«, sagte sie, stieg aus und lief die paar Stufen hinauf. Die Eingangstür war nicht versperrt. »Fahr du nur zu deinem Tempel«, sagte sie. »Schau ihn dir zuerst allein an und komm dann zurück.«
»Ich liebe dich«, versicherte er ihr.
Man hatte bei den Malerarbeiten die Nummerntafel abmontiert, und Michael fuhr an Sinai vorbei, ohne es zu merken. Aber als er am nächsten Haus eine deutliche 47 entdeckte, wendete er den Wagen und parkte an der Zufahrt zum
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