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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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plötzlich traurig: der doppelte Stein aus behauenem Granit war ihm eingefallen, den sein Vater auf das Grab seiner Mutter hatte setzen lassen, ein Stein, auf dem Abes Name unter dem ihren eingraviert und nur das Todesdatum noch offengelassen war.
    »Du kannst ihm nicht übelnehmen, daß er seine Mutter zu schützen versucht«, gab er zu bedenken. »Sag, ist sie da? Ich hätte ihr gern einiges erzählt über den Gigolo, den sie da kriegt. «
    »Nein, sie ist grad einkaufen gegangen fürs Abendessen«, sagte Abe.
    »Ich stell mir vor, wir werden so was wie Flitterwochen in Israel verbringen. Ruthie und ihre Familie besuchen.« »Möchtet ihr die Hochzeit nicht hier bei uns machen?« fragte Michael, ohne im Augenblick an seine eigenen Schwierigkeiten zu denken.
    »Sie ist streng koscher. Sie würde in eurem Haus keinen Bissen anrühren.«
    »Paß auf, sag ihr, ich werde über s i e Auskünfte einholen lassen.«
    Abe lachte leise, und dieses Lachen, so ging es Michael durch den Sinn, klang jünger und unbekümmerter als seit vielen Jahren. »Du weißt, was ich dir wünsche«, sagte Michael.
    »Ich weiß.« Abe räusperte sich. »Ich mach jetzt lieber Schluß, Michael. Der Phil, dieser schojte, soll nicht glauben, daß ich die Telephonrechnung seiner Mutter absichtlich hinauftreibe.« »Gib acht auf dich, Pop.«
    »Du auch. Ist Leslie vielleicht da, ich hätte gern noch ihr maseltow gehört.«
     
    »Nein, sie ist auch einkaufen gegangen.«
    »Sag ihr alles Liebe von mir. Und den Kindern gib einen Kuß von ihrem sejde. Sie kriegen jedes einen Chanukka -Scheck von mir.« »Das solltest du nicht«, sagte Michael, aber die Verbindung war abgerissen.
    Er legte den Hörer auf und blieb eine Weile sitzen, in Gedanken verloren. Abe Kind, der Überlebende. Das war die Lehre dieses Tages, das Erbe, vom Vater weitergegeben an den Sohn: wie man am Leben bleibt, wie man sich vorwärtsstürzt vom Heute ins Morgen.
    Eine prächtige Lehre. Michael kannte Leute in Abe Kinds Alter und Lebensumständen, die nur mehr wie Schlafwandler lebten, in Stumpfheit versunken, die so sicher war wie der Tod. Sein Vater hatte sich für das schmerzhafte Leben entschieden, hatte statt des Doppelgrabes das Doppelbett gewählt. Michael goß sich noch eine Tasse Kaffee ein und überlegte dabei, wie Lillian aussehen mochte; während er die Tasse leerte, sann er darüber nach, ob wohl auch über Ted Aisners Grab ein Doppelstein prangte.
    Um sieben Uhr dreißig fuhr er Rachel zur Woodrow-Wilson-Schule.
    Sie verließ ihn auf dem Flur, und er nahm von einem ernsthaft blickenden jungen in langen Hosen ein Programm in Empfang und begab sich in den Festsaal. In der Reihe vor dem Mittelgang bemerkte er die allein sitzende Jean Mendelsohn. Er begrüßte sie und nahm neben ihr Platz.
    »Oh, Rabbi, was machen denn Sie hier?« »Wahrscheinlich dasselbe wie Sie, wie geht's Jerry?« »Nicht so schlecht, wie ich gefürchtet habe.
    Natürlich ist der Verlust des Beines schlimm. Aber all diese Geschichten, die ich gehört habe -daß man den fehlenden Körperteil immer noch spürt, als wär er vorhanden, daß man Krämpfe in den Zehen hat, die nicht mehr da sind, verstehen Sie ...«
    »Ja.«
    »Also, so ist es nicht. Zumindest nicht bei Jerry.« »Fein. Und wie ist seine Stimmung?«
    »Könnt besser sein, könnt aber auch schlechter sein. Natürlich bin ich sehr viel bei ihm. Meine jüngere Schwester ist aus New York gekommen. Sie ist sechzehn und großartig mit den Kindern.«
    »Spielt eines von Ihren Kindern hier mit?«
    »Ja, meine Toby, der Teufel.« Sie schien etwas verlegen, und als er ins Programm sah, verstand er den Grund. Die Schule führte ihr alljährliches Weihnachtsspiel auf, eine Veranstaltung, von der er ursprünglich gehofft hatte, sie werde ihm erspart bleiben. In der letzten Zeile des Programms, als verantwortlich für die Requisiten, war Rachel namentlich genannt. »Meine Toby ist ein Weiser aus dem Morgenland«, sagte Jean verdrossen und schnell, um es hinter sich zu bringen. »Diese Kinder quälen einen doch entsetzlich. Sie hat gefragt, ob sie darf, und wir haben ihr gesagt, daß sie w e i ß, wie wir darüber denken, sie soll das selbst entscheiden.«
    »Und so ist sie also ein Weiser aus dem Morgenland«, sagte Michael lächelnd.
    Sie nickte. »In Rom versichern sie uns, daß wir nicht daran schuld sind, und in Woodborough ist meine Tochter ein Weiser an der Krippe.«
    Der Saal hatte sich unterdessen gefüllt. Miss McTiernan, die Schulleiterin,

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