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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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betrat das Podium - eine eindrucksvolle Erscheinung mit üppigem Busen und stahlblauem Haar. »Es ist mir eine Freude, Sie im Namen der Schüler und Lehrer der Woodrow-Wilson-Schule bei unserem alljährlichen Weihnachtsspiel zu begrüßen. Wochenlang waren Ihre Kinder mit der Herstellung der Kostüme und mit den Proben beschäftigt. Das Krippenspiel ist seit langem eine Tradition dieser Schule, auf die alle Schüler stolz sind. Ich bin sicher, Sie werden unseren Stolz teilen, wenn Sie das Programm gesehen haben.« Sie setzte sich unter lautem Applaus, während die Kinder in ihren Kostümen durch den Mittelgang aufmarschierten: aufgeregte Schäfer mit langen Hirtenstäben, unsichere Weise aus dem Morgenland mit wuscheligen Bärten, kichernde Engel mit prächtigen Papiermachéflügeln an den Schultern. Nach den Schauspielern erschienen die Schüler der fünften und sechsten Klasse, die Burschen in dunklen Hosen und weißen Hemden, die Mädchen in Rock und Pullover. Rachel trug Notenblätter, die sie an die übrigen Kinder verteilte, sobald diese ihre Plätze eingenommen hatten; sie selbst stellte sich neben das Klavier.
    Ein kleiner Junge, dessen Haar noch naß von der Bürste war, erhob sich und begann mit unsagbar süßer Stimme zu sprechen: »Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde.«
    Die Schauspieler stellten die Weihnachtslegende dar, und Jean Mendelsohn wand sich vor Verlegenheit, als die Weisen aus dem Morgenland mit ihren Gaben erschienen. Das kleine Spiel klang mit
    »Stille Nacht, heilige Nacht« aus, und im Anschluß daran sangen die Kinder im Chor »O kleine Stadt von Bethlehem«, »Die erste Weihnacht«, »Der kleine Trommler«, »Kommt, all ihr Gläubigen« und
    »O heilige Nacht«. Michael bemerkte, daß Rachel nicht mitsang. Sie stand neben dem Klavier und schaute ins Publikum, während rund um sie die Stimmen ihrer Mitschüler sich im Gesang erhoben.
    Als es zu Ende war, verabschiedete sich Michael von Jean und holte seine Tochter.
    »Gut waren sie, nicht wahr?« sagte sie.
    »Ja, sehr gut«, bestätigte er. Sie drängten sich aus dem überheizten Schulhaus und stiegen in den Wagen. Michael fuhr seine Tochter nach Hause, aber als sie dort angekommen waren, wünschte er sich, noch länger mit ihr beisammen zu bleiben. »Hast du noch Aufgaben zu machen?« fragte er.
    »Nein, Miss Emmons hat uns keine gegeben, wegen des Krippenspiels.«
    »Ich mach dir einen Vorschlag: gehen wir spazieren, bis wir richtig müde sind. Dann kommen wir nach Haus, trinken heiße Schokolade und gehen schlafen. Was hältst du davon?« »Mhm.«
    Sie stiegen aus dem Wagen, und Rachel legte ihre im Fäustling steckende Hand in die Hand ihres Vaters. Der Himmel war bedeckt, kein Stern sichtbar. Der Wind blies rauh, aber nicht sehr heftig. »Sag mir, wenn dir kalt wird«, sagte Michael.
    »Zu Neujahr haben wir auch eine Aufführung. Nicht für die Eltern, nur für die Kinder«, sagte Rachel. »Da darf ich aber schon mitsingen, nicht wahr?«
    »Natürlich, Honey.« Er zog sie im Gehen an sich. »Es ist dir schwergefallen, heute abend nicht mitzusingen, nicht wahr?«
     
    »Mhm.« Unsicher schaute sie zu ihm auf.
    »Warum? Weil du als einzige da vorn gestanden bist, vor so vielen Leuten, und nicht mitgesungen hast?«
    »Nicht nur deshalb. Die Lieder und die Geschichte ... Sie sind so schön.«
    »Das sind sie«, stimmte er zu.
    »Aber die Geschichten aus dem Alten Testament sind auch schön«, sagte sie mit Überzeugung, und er zog sie wieder an sich. »Wenn Max sich Hockeyschlittschuhe kauft, dart ich mir dann mit dem Chanukka -Geld von Großvater Abe Kunsteislaufschuhe kaufen?«
    fragte sie mit sicherem Gefühl für die ihr günstige Situation.
    Er lachte. »Woher weißt du überhaupt, daß du einen Chanukka -
    Scheck von Großvater Abe bekommen wirst?«
    »Weil wir immer einen bekommen.«
    »Schön, wenn's dieses Jahr auch so ist, solltest du vielleicht mit dem Geld ein eigenes Bankkonto eröffnen.«
    »Wozu?«
    »Es ist gut, eigenes Geld zu haben. Fürs College. Oder nur, um es auf der Bank sicher aufzuheben für den Fall, daß du es einmal brauchst...«
    Er blieb plötzlich stehen, und sie hielt es für ein Spiel und zerrte lachend an seiner Hand-aber er hatte sich der tausend Dollar erinnert, die Leslie vor ihrer Hochzeit von Tante Sally geerbt hatte.
    Jenes Geldes, das sie nie für gemeinsame Ausgaben hatte heranziehen dürfen, damit sie es an irgendeinem

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