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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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dicken Seilen von einem hohen Ast hing.
    Am besten aber gefiel ihm der Tempel. Beth Sholom war alt und nicht sehr geräumig. Da war kein Chagall und kein Lipchitz , wohl aber ein Geruch nach Bodenwachs und abgegriffenen Gebetbüchern und trockenem Holz und nach all den vielen Menschen, die hier im Verlauf von fünfundzwanzig Jahren Gott gesucht hatten.
     

Viertes Buch
      
Das Gelobte Land
      
     
    Woodborough, Massachusetts Dezember 1964
      
43
    An die Vereinigung der Absolventen von Columbia College, 116th Street and Broadway
    New York, New York 10027 Gentlemen,
    nachfolgend übermittle ich Ihnen meinen autobiographischen Beitrag zum Gedenkbuch anläßlich der Fünfundzwanzig-Jahr-Feier des Jahrgangs 1941.
    Ich kann es kaum glauben, daß fast fünfundzwanzig Jahre vergangen sind, seit wir Morningside Heights verlassen haben. Ich bin Rabbiner. Als solcher habe ich in reformierten Gemeinden in Florida, Arkansas, Kalifornien und Pennsylvania gearbeitet. Jetzt lebe ich in Woodborough, Massachusetts, mit meiner Frau Leslie, geb. Rawlings (Wellesley, 1946) aus Hartford, Connecticut, und unseren Kindern Max (16) und Rachel (8).
    Ich sehe dem Zusammentreffen anläßlich unseres fünfundzwanzigjährigen Jubiläums mit freudiger Erwartung entgegen. Die Gegenwart stellt so viele Anforderungen an uns, daß wir nur allzu selten Gelegenheit haben, auf die Vergangenheit zurückzublicken. Und doch ist es die Vergangenheit, die uns in die Zukunft geleitet. Als Geistlicher einer fast sechs Jahrtausende alten Religion bin ich mir dessen in zunehmendem Maße bewußt.
    Ich habe die Erfahrung gemacht, daß der Glaube nicht nur kein Anachronismus ist, sondern daß ihn der moderne Mensch dringender braucht als je, um tastend seinen Weg ins Morgen zu suchen.
    Ich für meine Person bin Gott dankbar dafür, daß er uns die Gelegenheit zum Suchen gegeben hat. Ich verfolge mit angstvoller Sorge die Feuerzeichen am Himmel, wie Sie es sicherlich auch tun; ich habe kürzlich das Rauchen aufgegeben und mir einen Bauch zugelegt; in letzter Zeit habe ich die Bemerkung gemacht, daß viele erwachsene Männer mich mit Sir anreden.
    Aber im tiefsten vertraue ich darauf, daß uns die Bombe erspart bleiben wird. Ich habe auch nicht das Gefühl, daß der Krebs mich befallen wird, zumindest nicht, ehe ich wirklich alt geworden bin; mit fünfundvierzig ist man ja heutzutage fast noch ein Kind. Und wer will schon gertenschlank bleiben? Besteht unsere Gesellschaft denn aus lauter Beachboys?
    Genug gepredigt - auf zu den Drinks: ich verspreche, bei unserem Treffen nur den Mund aufzumachen, um etwas zu trinken zu verlangen oder um einzustimmen in das Absingen von » Who Owns New York?«.
    Ihr Jahrgangskollege Rabbi Michael Kind Tempel Beth Scholom Woodborough, Massachusetts
    Er war schließlich eingeschlafen, den Kopf in den Armen, war, komplett angekleidet, über seinem Schreibtisch zusammengesunken.
    Das Telephon schwieg die ganze Nacht lang. Es läutete erst am Morgen, um 6 Uhr 36. »Wir haben noch immer nichts von ihr gesehen«, sagte Dr. Bernstein.
     
    »Ich auch nicht.« Der Morgen war kalt, die Radiatoren ächzten und klirrten unter der morgendlich verstärkten Feuerung, und Michael dachte daran, Dan zu fragen, wie Leslie bekleidet gewesen und ob sie auch hinlänglich gegen die Kälte geschützt sei.
    Ihr blauer Wintermantel samt Handschuhen, Stiefeln und Kopftuch seien mit ihr verschwunden, sagte Dan. Nach dieser Mitteilung war es Michael ein wenig wohler: wer so vernünftig handelte, würde sich wohl kaum wie eine Desdemona im Schnee aufführen. »Wir bleiben in Verbindung«, sagte Dr. Bernstein.
    »Ich bitte Sie darum.«
    Er war steif und übernächtig nach der im Sessel verbrachten Nacht; so duschte er lange, kleidete sich dann an, weckte die Kinder und kümmerte sich darum, daß sie rechtzeitig zur Schule fertig wurden.
    »Kommst du heute abend zu unserer Schulveranstaltung?« fragte Rachel. »Jede Klasse kriegt zwei Punkte für Väter. Mein Name steht auf dem Programm.«
    »Ja? Was machst du denn?«
    »Wenn du's wissen willst, dann komm, und du wirst sehen.« »In Ordnung«, versprach er.
    Er fuhr zum Tempel, früh genug, um mit dem minjen den kadisch zu sagen. Dann schloß er sich in sein Arbeitszimmer ein und bereitete eine Predigt vor. Er sorgte für Beschäftigung. Kurz vor elf rief Dan ihn wieder an.
    »Die Staatspolizei hat festgestellt, daß sie die Nacht in der YWCA verbracht hat. Sie hat das Anmeldeformular mit ihrem Namen

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