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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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nebulosen Tag verwenden könnte, wie sie es für gut hielte.
     
    »Daddy!« rief Rachel begeistert und zerrte an ihm, und nun mußte er den ganzen Heimweg über bei jedem dritten Schritt ein Baum werden und wie angewurzelt dastehen.
    Am Morgen verließ er nach dem Gebet den Tempel und ging hinüber zu Woodborough Saving and Loan, wo Leslie und er ihre Bankkonten hatten. Das Namensschild am Schalter teilte ihm mit, daß er mit Peter Hamilton sprach. Das war ein großer junger Mann mit energischem Kinn und einer kleinen Falte zwischen den Augen.
    Sein schwarzes Haar war mit etwas Grau gesprenkelt und über den Ohren sehr kurz geschnitten, so daß er wie ein Marineleutnant in einem Ivy-League-Anzug aus braunem Flanell aussah.
    Michael erinnerte sich, daß Leslie ihn einmal gefragt hatte, ob er je einem dicken Bankkassierer begegnet sei.
    Hinter ihm hatten sich zwei Leute angereiht, eine Frau in mittleren Jahren und ein älterer Mann, so daß Michael sich etwas befangen fühlte, als er an die Reihe kam. Er wüßte gerne, so erklärte er Peter Hamilton, ob seine Frau heute früh Geld abgehoben habe - und während er das sagte, spürte er förmlich, wie die zwei Leute hinter ihm die Ohren spitzten.
    Peter Hamilton schaute ihn an und lächelte, wobei seine Zähne nicht sichtbar wurden. »Handelt es sich um ein gemeinsames Konto, Sir?«
    »Nein«, sagte Michael. »Es handelt sich um ein Konto meiner Frau.«
    »Also nicht um ... hm ... gemeinsamen ehelichen Besitz?« »Wie meinen Sie?«
    »Das Geld auf dem Konto gehört rechtlich zur Gänze i h r ?« »Ach so, ja, natürlich.«
     
    »Und es ist Ihnen nicht möglich, sie ... hm ... einfach zu fragen? Ich fürchte, wir sind moralisch nicht berechtigt, zu ...«
    »Kann ich den Direktor sprechen?« fragte Michael.
    Das Büro des Direktors war nußgetäfelt und mit einem dicken Teppich in Rostrot ausgelegt - einer für einen Bankmann ziemlich kühnen Farbe. Arthur J. Simpson lauschte Michaels Worten mit unverbindlicher Höflichkeit, drückte, nachdem jener geendet hatte, auf einen Knopf am Haustelephon und bat, man möge ihm die Auszüge von Mrs. Kinds Konto in sein Büro bringen. »Ursprünglich war es ein Konto über tausend Dollar«, sagte Michael. »Inzwischen müßte sich der Stand um die Zinsen erhöht haben.« »Gewiß«, sagte der Bankmann, »das müßte er wohl.« Er griff nach einem Kontoblatt.
    »Der Stand ist jetzt fünfzehnhundert.« »Das heißt, sie hat nichts abgehoben?«
    »O doch, Rabbi, sie hat. Gestern früh war der Kontostand zweitausendneunundneunzig Dollar vierundvierzig Cent.« Mr.
    Simpson lächelte. »Die Zinsen summieren sich mit der Zeit. Sie werden jährlich berechnet, wissen Sie, und der Zinsfuß erhöht sich mit steigendem Kapital.«
    »Wer da hat, dem wird gegeben«, sagte Michael. »So ist es, Sir.«
    Wie weit konnte sie mit sechshundert Dollar schon kommen?
    Doch noch während Michael sich diese Frage stellte, gab er sich selbst die Antwort. - Weit genug.
    Als abends das Telephon läutete und er ihren Namen hörte, begannen ihm die Knie zu zittern, aber wieder war es falscher Alarm: ein Anruf f ü r sie, nicht v o n ihr.
     
    »Sie ist nicht zu Hause«, sagte er zu der Beamtin von der Vermittlung, »wer ruft denn, bitte?«
    Ein Ferngespräch, wiederholte die anonyme Stimme vom Fernamt.
    Wann würde Mrs. Kind zu sprechen sein?
    »Ich weiß es nicht.«
    »Spricht dort Mr. Kind?« fragte eine fremde weibliche Stimme. »Ja.
    Rabbi Kind.«
    »Ich möchte mit ihm sprechen«, sagte die fremde Stimme zur Vermittlung.
    »Gewiß, Ma'am. Sprechen Sie.« Die Vermittlungsbeamtin schaltete sich aus.
    »Hallo?« sagte Michael.
    »Mein Name ist Potter, Mrs. Marilyn Potter« »Ja, Ma'am?« sagte Michael.
    »Ich wohne gleich neben der Hastings-Kirche - in Hartford.« Mein Gott, dachte er, natürlich: sie ist für ein paar Tage zu ihrem Vater gefahren! Dann fiel ihm wieder ein, daß der Anruf aus Hartford für sie bestimmt gewesen war, und er wußte, daß es sich um etwas anderes handeln mußte. Aber was, zum Teufel, redete diese Frau nur, fragte er sich, plötzlich seiner Benommenheit gewahr werdend.
    »So habe ich ihn gefunden. Es war ein Schlaganfall.« Oh.
    »Besuchszeiten für Trauergäste morgen und Donnerstag von eins bis drei und von sieben bis neun. Einsegnung in der Kirche am Freitag um zwei und Begräbnis am Grace Cemetery, wie er es schriftlich festgelegt hat.«
     
    Er dankte der fremden Frau. Er hörte ihre Beileidsworte und dankte nochmals. Er

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