Der Rabbi
Angebot mit resignierender Miene zu.
»Und was soll das Korsett kosten?«
Der Vater grinste, und das Handeln begann aufs neue. Am Ende schienen beide zufrieden. Drei Minuten später war Mr. Levinson draußen, und der Vater und Carla saßen wieder an ihren Schreibtischen. Michael hockte da, krampfhaft mit Putzen beschäftigt, und warf verstohlene Blicke auf Carlas gelangweilte Miene, während er den nächsten Besucher herbeisehnte.
Er arbeitete gern bei seinem Vater. Nach Geschäftsschluß um fünf Uhr nachmittags am Samstag pflegten sie in einem Restaurant zu essen, um dann in ein Kino oder zum Garden zu gehen, wo sie beim Basketball oder beim Boxen zusahen. Manchmal gingen sie auch in den YMHA, trainierten miteinander und setzten sich dann ins Dampfbad. Sein Vater konnte nie genug Dampf bekommen und verließ den Raum stets mit rotem Gesicht und glänzenden Augen.
Michael hielt es nie länger als zehn Minuten aus, dann wankte er aus dem Dampfraum, mit weichen Knien und völlig entkräftet.
Eines Abends saßen sie wieder mit dampfumwölkten Köpfen auf der Holzbank.
»Den Rücken, bitte«, sagte der Vater. Michael ging zum Wasserhahn und tränkte ein Handtuch mit dem eiskalten Wasser. Zäh-neklappernd klatschte er das Handtuch auf Abes Rücken. Grunzend vor Behagen nahm Abe das Handtuch und schlug es sich um Gesicht und Beine.
»Du auch?«
Michael lehnte dankend ab. Abe drehte den Dampfhahn wieder auf, und Wolken frischen Dampfes strömten in die winzige Kabine.
Michael wurde das Atmen schwer, während des Vaters Atem langsam und leicht ging.
»Ich werde dir einen Satz Hanteln besorgen«, meinte er. Er lag nun ausgestreckt und mit geschlossenen Augen auf dem Rükken.
»Ich werde dir einen Satz Hanteln besorgen, und dann trainieren wir zwei gemeinsam.«
»Großartig«, erwiderte Michael lahm. Um die Wahrheit zu sagen, konnte er die meisten der Hanteln, die sein Vater im Schlafzimmer hatte, weder heben, noch empfand er besondere Lust dazu. Mit dreizehn hatte er plötzlich zu wachsen begonnen und war nun aufgeschossen und hager. Während er seinen kon-ditionsstarken Vater betrachtete, mußte er an die kleine fette Mutter denken und wunderte sich über die seltsamen Launen der Natur.
»Was ist los mit dir? Magst du keine Hanteln?«
»Nicht besonders.«
»Willst du sonst irgendwas?«
»Eigentlich nichts.«
»Komischer Kerl.«
Da offenbar keine Antwort erwartet wurde, blieb Michael nur sitzen und keuchte vor sich hin.
»Ich wollte schon lange mit dir reden.«
»Worüber?«
»Sex.«
Michael versuchte seine Verlegenheit zu verbergen. »Hast du Schwierigkeiten, Papa?«
Abe setzte sich grinsend auf seiner Bank auf. »Stell dich nicht blöd.
Ich hab solche Schwierigkeiten nie gehabt, schejgez. Also... wieviel weißt du darüber?«
Er wich dem belustigten Blick seines Vaters aus. »Alles.«
Einen Augenblick lang war es ganz still, bis auf das Zischen des Dampfes. »Und woher weißt du's?«
»Von Freunden. Wir reden darüber.«
»Willst du irgendwas fragen?«
Es gab da einige Feinheiten, über die er sich keineswegs im klaren war. »Nein«, sagte er.
»Also, wenn du was fragen willst, komm zu mir. Verstehst du?«
»Gewiß, Papa«, versprach er. Er wartete noch zwei Minuten lang und flüchtete dann in den Duschraum. Bald darauf kam Abe ihm nach und stellte sich unter die kalte Dusche, während Michael unter der warmen herumtrödelte, und dann sangen sie gemeinsam den Sheik of Araby, Abe mit verlegen-unsicherer Stimme.
Abe hatte seinen Sohn gern bei sich im Betrieb, aber er behandelte ihn wie jeden anderen Angestellten. Als Michael zu arbeiten begann, zahlte ihm sein Vater drei Dollar die Woche. Nach einem Jahr wandte sich Michael an Sam mit der Bitte, eine Erhöhung für ihn auszuhandeln. Der Gewerkschaftsvertreter war entzückt. Abe und er benachezten sich zwanzig Minuten lang an dieser Sitzung, deren Ergebnis ein Dollar Zulage war.
Nach der Lohnerhöhung sparte Michael zwei Wochen lang und lud dann seinen Vater ins Theater ein. Man gab Maxwell Andersons Mary of Scotland mit Helen Hayes und Philip Merivale in den Hauptrollen. In der Mitte des zweiten Akts schlief sein Vater ein.
Die Woche darauf nahm Abe Michael ins Jiddische Theater mit. Sie sahen einen Schwank, der De grine kusine hieß und zeigte, wie die Ankunft eines neu eingewanderten Cousins eine amerikanische Familie umkrempelte. Michael konnte dem Jiddisch nicht immer folgen, aber die Witze, die er verstand, ließen ihn
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