Der Rabbi
»Möchtest du, daß ich das Gewerkschaftliche mit dir oder mit Vater bespreche, Kleiner?« Abe grinste. »Ganew. Laß den Jungen aus mit deiner Gewerk-schaftspropaganda. Wie ich dich kenne, wirst du ihn mir noch in den Ausschuß aufnehmen.«
»Keine schlechte Idee. Danke, ich glaube, das werde ich tun! « Als sie nach vorn ins Büro gingen, grinste der Vater nicht mehr. »Der verdient mehr als ich«, sagte er.
Das Büro war durch eine Wand vom Maschinensaal getrennt. Das Empfangszimmer war teppichbelegt, dezent beleuchtet, und seine teuren Möbel stammten noch aus der Zeit, da Abe sich großartige Illusionen hinsichtlich der Zukunft gemacht hatte. Jetzt, bei Michaels Arbeitsantritt, war vieles schon schäbig geworden, wenngleich es noch immer attraktiv wirkte. Ein Glasverschlag in der Ecke schirmte die beiden Schreibtische ab, deren einer für Vater, deren anderer für Carla Salva, die Buchhalterin, bestimmt war.
Sie saß hinter ihren Büchern, lackierte sich die Nägel und wünschte ihnen lächelnd guten Morgen. Sie hatte strahlend weiße Zähne und einen von Natur aus schmallippigen Mund, den Max Factor zu roter Üppigkeit gewandelt hatte. Gleich neben der Nase, deren Flügel ständig vibrierten, hatte sie ein großes braunes Muttermal. Sie stammte aus Puerto Rico und hatte schmale Hüften, einen üppigen Busen und einen zarten Teint. »Ist Post gekommen?« fragte Abe. Sie zeigte mit frischlackiertem karminrotem Fingernagel, der an ein blutiges Stilett gemahnte, auf einen Stoß auf ihrem Schreibtisch. Der Vater packte die Briefschaften zusammen, legte sie auf seinen Schreibtisch und ordnete sie nach Aufträgen und Rechnungen.
Nachdem Michael ein paar Minuten herumgestanden war, räusperte er sich. »Und was soll ich jetzt tun?« fragte er.
Abe blickte auf. Er hatte Michaels Gegenwart gänzlich vergessen.
»Oh«, sagte er. Er führte ihn zu einem engen Verschlag und zeigte auf den verbeulten Hoover-Staubsauger. »Saug die Teppiche ab.«
Sie hatten es bitter nötig. Als er mit den Teppichen fertig war, goß er die beiden großen Zimmerpflanzen und polierte dann das Metallgestell des Aschenbechers. Es war soeben zehn Uhr dreißig, und der erste Kunde trat ein. Als Abe seiner ansichtig wurde, kam er hinter dem Glasverschlag hervor.
»Oh, Mr. Levinson«, sagte er. Es gab ein herzliches Händeschütteln. »Wie geht's immer in Boston?«
»Könnte besser gehen.«
»Wie bei uns, wie bei uns. Man kann nur hoffen, daß sich das bald ändert.«
»Ich habe eine Nachbestellung für Sie.« Er übergab Abe ein leeres Formular.
»Sie werden doch nicht wegen einer Nachbestellung nach New York gekommen sein. Da gibt's ein paar schöne Neuheiten.« »Die müßten aber sehr preiswert sein, Abe.«
»Mr. Levinson, über den Preis reden wir später. Jetzt setzen Sie sich erst einmal zu mir und sehen sich die neuen Sachen an.« Er blickte zu dem Glasverschlag hinüber. »Carla, die neue Fagon«, sagte er.
Carla nickte und lächelte Mr. Levinson zu. Sie verschwand im Magazin, kam wenige Minuten später mit zwei Schachteln heraus und trug sie in die Garderobe. Als sie schließlich erschien, trug sie ein Korsett und sonst nichts.
Michaels Hände froren am Aschenbechergestell fest. Niemals zuvor hatte er so viel von einer Frau gesehen. Die Brustschalen des Korsetts hoben Carlas Brüste zu fleischigen Kugeln, die ihm die Knie weich machten. Außerdem hatte sie links innen am Oberschenkel ein Muttermal, das dem auf ihrer Wange glich. Sein Vater und Mr. Levinson aber schienen sie nicht zu bemerken; Mr.
Levinson hatte nur Augen für das Korsett, und der Vater nur für Mr. Levinson.
»Eher nein«, sagte dieser schließlich.
»Und Sie möchten nicht einmal wissen, was für eine mezzieh das ist?«
»Mezzieh oder nicht, es wär ein Leichtsinn. Ich habe jetzt schon zu viel von dem Zeug auf Lager.«
Der Vater zog die Schultern hoch.
»Wir werden nicht streiten darüber.«
Carla verschwand in der Garderobe und kam in Hüftgürtel und schwarzem Büstenhalter wieder zum Vorschein. Der Gürtel war so tief ausgeschnitten, daß sie beim Auf-und Abschreiten vor den beiden Herren Michael mit dem Nabel zublinzelte.
Mr. Levinson zeigte an dem Hüftgürtel ebensowenig Interesse wie vorhin an dem Korsett, aber er lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Kostet?«
Es gab ihm einen Riß, als Abe den Preis nannte. Der hitzige Handel dauerte einige Minuten, und schließlich hob der Vater die Schultern und stimmte Mr. Levinsons letztem
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