Der Raben Speise
hörte man ihm in einer so bedeutsamen Angelegenheit nur mit halbem Ohr zu, konnte es einen leicht den ganzen Kopf kosten. Deshalb ersparte ich mir jede Nachfrage und war froh, mich so schnell wie möglich aus dem Staub machen zu können, darauf vertrauend, dass mir Hillink unterwegs alles haarklein wiederholen könnte. Dieser ungeschlachte Kerl verfügte neben seinem unangenehmen Geruch nämlich über eine weitere hervorstechende, jedoch ungleich schätzenswertere Eigenschaft. Er konnte sich den Inhalt einer Unterredung merken, als hätte ein königlicher Hofschreiber sie aufgezeichnet.
In meiner Eile stieß ich auf meinem Weg in die Eingangshalle fast mit dem so unwirsch abgefertigten Wullenweber zusammen, der sich mit verkniffener Miene an eine Treppensäule lehnte und auf einen kleinen Mann einredete, der einen Schal in einer Weise um seinen Kopf geschlungen hatte, dass unter seinem breitkrempigen Hut kaum mehr als Augen und Nase zu sehen waren. Als ich mich zwischen beiden durchdrängelte, bemerkte ich eine sternförmige, weiße Narbe unter seinem linken Auge. Ich kannte den Mann nicht, gleichwohl war er mir auf den ersten Blick unsympathisch.
Sehr sympathisch war mir dagegen mein Freund Sir Desmond, dem ich nun, während man in der Küche unter der Aufsicht von Hillink ein wenig Reiseproviant für uns zusammenstellte, den versprochenen Besuch abstattete. Er residierte in einem extra für ihn errichteten, lang gestreckten Gebäude einige hundert Meter hinter dem Schloss, in dem sich nicht nur seine Wohnung, sondern auch Laboratorium, Schmiede und Feinwerkstatt befanden. Das Haus war komplett aus leichtester Bauweise. Die einzige dicke Mauer, die es gab, trennte die Wohnung vom übrigen Bereich. Das Dach bestand aus dünnen Holzplatten, die mit einem besonderen Firnis gegen die Einflüsse der Witterung geschützt waren. Dies müsse aus Vorsicht so sein, hatte er mir letzthin erklärt, um im Falle einer Explosion die Gefahr so gering wie möglich zu halten. Ich hatte gleich den Eindruck, dass seine Begründung nur zum Teil stimmte, weil er sich mit der angedeuteten Dauergefährdung in erster Linie die neugierigen Schranzen aus dem Schloss vom Leibe halten wollte. Als ich ihn damit konfrontierte, bestand seine Antwort nur aus einem kurzen Zwinkern.
Llewellyn kam mir auf dem halben Weg, der durch ein Wäldchen führte, mit einer Fackel entgegen. Er war so begeistert von dem, was er mir vorführen wollte, dass er schon unterwegs damit herausplatzte.
»Ich experimentiere seit einiger Zeit mit einem Gerät, dem ich eine Pulvermischung anvertrauen kann, die gegenwärtig noch jede herkömmliche Muskete oder Pistole sprengen würde. Ich hoffe aber zuversichtlich, dass mir jeden Tag der Durchbruch gelingen kann. Das Gewichtungsverhältnis zwischen Holzkohle und Salpeter und vor allem einer Ingredienz, über die ich so schnell nicht reden werde, ist ein äußerst labiles. Einmal aus der Proportion gebracht, könnte es dem Schützen mehr schaden als dem Ziel. Doch was soll’s, mein Provisorium zum Abschuss hält allemal stand. – Komm mit, und ich zeige dir etwas, dass dich zum Staunen bringen wird!«
Als wir auf dem basaltgepflasterten, von mehreren Fackelständern erhellten Hof vor seinem Haus ankamen, fiel mir gleich eine hölzerne Stellage ins Auge, auf der zwei besonders dicke Kürbisse lagen. Dahinter waren drei Schanzkörbe so gegeneinander versetzt platziert, dass keine Kugel zwischen ihnen durchfahren konnte. Ansonsten sah ich einstweilen nichts.
»Schön, du wolltest mir etwas zeigen. Die Kürbisse sehen auch wirklich prächtig aus. Und was für ein Wunder, Kürbisse zu dieser Jahreszeit! Aber soll das etwa bedeuten, dass du mit Waffen nichts mehr im Sinn hast und dich nur noch um deinen Garten kümmern willst?«
»Papperlapapp, ich habe die fetten Burschen mit einer Mischung aus Wachs und Zucker haltbar gemacht.« Desmond grinste wie eine Katze, die den Honigtopf leergeschleckt hat und trotz ihrer verklebten Schnurrhaare von niemandem verdächtigt worden ist. »Nimm deine Pistole und schieß auf den ersten!«
Ich tat wie geheißen. Meine Pistolen waren ein Geschenk des Bischofs, beste Qualität aus Verona. Franz war in manchen Dingen knauserig bis zum Geiz, doch andererseits wusste er sehr wohl, wann Geld gut angelegt war.
Das Radschloss tat seinen Dienst in perfekter Präzision, die Kugel fauchte aus dem Lauf, schlug ein daumendickes Loch in die vordere Kürbiswand, riss ein handtellergroßes Stück
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