Der Raben Speise
zurückgeschleudert und über den Boden gewirbelt wurde. Als er sich mit einem Stöhnen, das nichts Menschliches an sich hatte, aufrichten wollte, war ich so weit in die Wirklichkeit zurückgekehrt, dass ich meine zweite Pistole zog, seine Leibesmitte anvisierte und erneut feuerte.
Der Aufprall der Ladung schob ihn einige Ellen über die Erde und ließ seinen Körper platzen, als hätte man mit einer Nadel in eine luftgeblähte Schweinsblase gestochen. Unter den Fetzen seines Umhangs lugten die Reste einer Brigantine hervor, die ihm nichts genützt hatte und ebenfalls in Stücke gegangen war. Ein Gemisch aus zerrissener Kleidung, Blut und Innereien ließ keinen Zweifel daran, dass er keine Gefahr mehr darstellte.
Ich weiß nicht, wie lange ich vor der Leiche gestanden und in ihr Gesicht geblickt habe, dass nun, wie durch eine schlierige Hornscheibe betrachtet, Büsche, Bäume und einen Teil des Himmels zeigte. Es kam erst wieder Leben in mich, als mir Beatrice, die durch die detonationsgleichen Schüsse angelockt worden war, sacht ihre Hand auf die Schulter legte. Sie deutete so zaghaft auf seinen Kopf, als könnte alleine diese Geste das Monstrum wieder erwecken. »Grauenhaft, nicht wahr?«
»Wir werden sehen!«
Ich kniete mich neben ihn, und je näher ich mein Gesicht an das seine brachte, desto ähnlicher wurde er mir. Der Mörder kam aus Venedig und er war kein Dämon. Das Geheimnis seines Schreckens war das Meisterwerk der dortigen Glasbläserkunst. Er trug eine Vollmaske, die wie ein Einwegspiegel gearbeitet war.
Als ich ihm die Spiegelmaske abnahm, erblickte ich einen Schädel, bleich und haarlos wie ein Hühnerei, mit einem aufgedunsenes Gesicht, das gut zu einem weichlichen Kammerdiener gepasst hätte, der sich zu oft am Wein seiner Herrschaft bereichert hatte. Seine milchigblauen Augen waren so verdreht, dass man die Iris kaum erkennen konnte, und seine kränklich-kirschroten, wulstigen Lippen, zu einem grotesken Kussmündchen aufgestülpt, flatterten. Ich musste unwillkürlich den Kopf schütteln. Einen Mörder von seinem Ruf, erhoben in den Rang eines wahren Assassinen, stellte man sich gemeinhin anders vor. Doch vielleicht war es gera de sein abstoßendes Äußeres gewesen, das ihn aus der Not hatte eine Tugend machen und zu seiner perfekten Maskerade hatte greifen lassen. Hinter dieser leicht wulstigen Stirn musste ein teuflisch genialer Verstand gearbeitet haben.
Sei es, wie es sei, mit der Maske war auch alles Dämonische von ihm entfernt, und mit seinem von meinen Schüssen zerfetzten, schwammigen Leib sah er wieder aus wie ein Nichts. Der Dieb der Seelen war tot.
Da er seine Waffe zum Stoß erhoben hatte, war sie von meiner Pistolenladung nicht getroffen worden. Der Dolch war ihm aus der Hand gefallen und hatte sich mit der Spitze in den weichen Waldboden gebohrt. Ich zog ihn heraus und wischte vorsichtig die Klinge ab, die mir merkwürdig stumpf erschien. Sie sah aus wie ein zu Glas gewordener Eiszapfen.
Ich hielt sie Beatrice hin, die zunächst die Hand nach ihr ausstreckte, jedoch nach einem Moment des Erkennens wieder zurückzuckte. »Das Werkzeug der venezianische Assassini. Die Klinge ist aus Glas. Der Mörder stößt zu und bricht mit einer Drehung des Handgelenks die Klinge ab. Selbst wenn der Dolch nicht hundertprozentig genau sein Ziel findet, stirbt das Opfer mit Sicherheit an Entzündung und Blutvergiftung. – Brauchst du noch mehr Beweise, dass wir von der Gilde verfolgt werden und dass wir dir die Wahrheit gesagt haben?«
Ich brauchte keine Beweise mehr. Aber vielleicht ihre Hilfe bei dem, was ich noch vorhatte.
Das goldene Horn
Nachdem sich die Kunde von meiner Großtat wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, war ich natürlich der Held des Tages. Wo ich auftauchte, wurde ich bejubelt und gefeiert, dass meine Schultern vom vielen Klopfen bald blau wurden. Der Herr von Crange ließ es sich nicht nehmen, augenblicklich ein großes Bankett zu meinen Ehren zu geben, und in den Mienen seiner Dauergäste spiegelte sich die Hoffnung wider, ich würde mit meiner Sachkunde und Umsicht nun auch das Geheimnis um den Tod Conrads lüften.
Dies allerdings war eine Nuss, die ich nicht zu knacken wusste. Ossenstert war nämlich in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben und hatte den Morgen genutzt, um die Leiche zu examinieren.
Ihr könnt Euch vorstellen, meine erwartungsvollen Freunde, wie groß meine Enttäuschung darüber war, dass auch mein gelehrter Freund keine Erkenntnisse zutage
Weitere Kostenlose Bücher