Der Raecher
Serbien.
Belgrad trotzte den Bomben siebenundachtzig Tage lang. Anfangs schimpften die Serben noch über die Nato. Dann schimpften
sie hinter vorgehaltener Hand, der verrückte Milošević habe sie ins Verderben geführt. Es ist immer wieder lehrreich zu beobachten, wie die Kriegsbegeisterung erlahmt, wenn die ersten Dächer einstürzen. Zilić vernahm das heimliche Murren.
Am 3. Juni 1999 stimmte Milošević dem internationalen Friedensplan zu. So lautete die offizielle Sprachregelung. Zilić sah darin eine bedingungslose Kapitulation. Für ihn wurde es Zeit zu verschwinden.
Die Kämpfe endeten. Die Dritte Armee, der die in großer Höhe operierenden Nato-Bomber kaum Verluste beigebracht hatten, rückte mit ihrem gesamten Kriegsgerät aus dem Kosovo ab. Die Nato-Verbündeten besetzten die Provinz. Die zurückgebliebenen Serben flohen nach Serbien und brachten ihren Zorn mit. Dieser Zorn, der zunächst der Nato gegolten hatte, richtete sich nun, da man die Schäden im eigenen Land sah, gegen Milošević.
Zilić brachte die letzten Reste seines Vermögens in Sicherheit und bereitete seine Flucht vor. Im Herbst 1999 wurden die Proteste gegen Milošević immer lauter.
In einem Gespräch unter vier Augen beschwor Zilić den Diktator im November 1999, die Zeichen der Zeit zu erkennen, selbst einen Staatsstreich durchzuführen, solange die Armee noch hinter ihm stand, und alle weiteren demokratischen Spiegelfechtereien zu beenden oder die Oppositionsparteien auszuschalten. Aber Milošević lebte damals in einer eigenen Welt, in der seine Popularität ungebrochen war.
Zilić schied von ihm, einmal mehr verwundert über das Phänomen, dass Männer, die einst die höchste Regierungsgewalt innegehabt hatten, völlig zusammenbrachen, wenn ihnen die Macht entglitt. Mut, Willensstärke, Wahrnehmungsvermögen, Tatkraft, selbst die Fähigkeit, den Tatsachen ins Auge zu sehen - alles war wie weggeblasen. Im Dezember übte Milošević die Macht nicht mehr aus, er klammerte sich an sie. Zilić schloss seine Vorbereitungen ab.
Sein Vermögen belief sich auf nicht weniger als fünfhundert Millionen Dollar, und er kannte einen Zufluchtsort, an dem er sicher sein würde. Arkan war tot, hingerichtet, weil er sich mit Milošević überworfen hatte. Karadzić und Mladicć, die Drahtzieher der ethnischen Säuberungen in Bosnien und des Massakers von Srebrenitsa, waren in die Republik Srbska geflüchtet und wurden dort wie Tiere gejagt. Andere waren bereits festgenommen und dem neuen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt worden. Milošević glich einem schwankenden Rohr im Wind.
Am 27. Juli 2000 legte er die kommenden Präsidentenwahlen offiziell auf den 24. September. Trotz massiver Manipulationen verlor er, weigerte sich aber, das Ergebnis anzuerkennen. Das Volk stürmte das Parlament und setzte seinen Nachfolger ein. Als einer ihrer ersten Maßnahmen ordnete die neue Regierung eine Untersuchung der Milošević-Ära an. Man ermittelte wegen der Morde, spürte den verschwundenen zwanzig Milliarden Dollar nach.
Der gestürzte Diktator verkroch sich in seiner Villa im Nobelvorort Dedinje. Am 1. April 2001 hatte Präsident Koštunica genug. Endlich erfolgte die Verhaftung.
Doch Zoran Zilić hatte seine Zelte längst abgebrochen. Im Januar 2000 war er einfach verschwunden. Ohne Abschied und ohne Gepäck. Wie einer, der ein neues Leben beginnen will, in einer anderen Welt, in der er den alten Krempel nicht mehr braucht.
Er nahm nichts und niemanden mit, nur seinen ihm treu ergebenen Leibwächter, einen bulligen Riesen namens Kulac. Innerhalb einer Woche hatte er sich in seinem neuen Versteck, das seit über einem Jahr auf ihn wartete, häuslich eingerichtet.
Niemand in den Geheimdiensten schenkte seinem Weggang Beachtung, bis auf einen. Ein stiller, verschwiegener Mann in Amerika nahm den neuen Aufenthaltsort des Gangsters mit großem Interesse zur Kenntnis.
12
Der Mönch
E s war der Traum, immer wieder der Traum. Er kam nicht von ihm los, und der Traum ließ ihn nicht los. Nacht für Nacht erwachte er schreiend, schweißgebadet, und seine Mutter stürzte herein, nahm ihn in die Arme und versuchte, ihn zu trösten.
Er war seinen Eltern ein Rätsel und bereitet ihnen Sorgen, denn er konnte oder wollte nicht über seinen Albtraum sprechen. Doch seine Mutter war überzeugt davon, dass er vor seiner Rückkehr aus Bosnien niemals solche Träume gehabt habe.
Er träumte immer dasselbe. Von dem Gesicht in der schlammigen
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