Der Raecher
Marschall Tito war kein Narr, aber er lebte nicht ewig. Als er 1980 starb, zerfiel sein Staat.
Im Belgrader Arbeiterviertel Zemun bekam ein Automechaniker namens Zilić 1956 einen Sohn und nannte ihn Zoran. Schon in jungen Jahren entpuppte sich Zoran als boshafter und äußerst gewalttätiger Charakter. Und als er zehn war, schauderten seine Lehrer bei der bloßen Nennung seines Namens.
Doch er besaß eine Eigenschaft, die ihn später von anderen Belgrader Gangstern wie Zeljko Raznatović, alias Arkan, unterscheiden sollte. Er war intelligent.
Mit vierzehn wurde der notorische Schulschwänzer Anführer einer Jugendbande, die sich die Zeit damit vertrieb, Autos zu klauen, sich zu prügeln, zu trinken und den Mädchen aus dem Viertel nachzustellen. Bei einer Straßenschlacht zwischen zwei Banden wurden drei Mitglieder der gegnerischen Seite mit Fahrradketten so brutal zusammengeschlagen, dass sie tagelang in Lebensgefahr schwebten. Für den örtlichen Polizeichef war das Maß jetzt voll.
Zwei kräftige Kerle schnappten sich Zilić, schleppten ihn in einen Keller und verdroschen ihn mit Gummischläuchen, bis er nicht mehr stehen konnte. Es war nicht bös gemeint, die Polizei befand es nur für nötig, ihn daran zu erinnern, ihren Worten mehr Beachtung zu schenken.
Anschließend gab der Polizeichef dem Jugendlichen einen guten Rat. Man schrieb das Jahr 1972. Der Junge war sechzehn, und eine Woche später verließ er das Land. Er hatte eine Einladung, auf die er nun zurückkam. Er schloss sich in Deutschland der Bande Ljuba Zemunacs an - der Nachname war angenommen und vom Namen des Stadtteils abgeleitet, in dem er geboren war. Auch er stammte aus Zemun.
Zemunac war ein skrupelloser Gangster, der später in der Eingangshalle eines deutschen Gerichtsgebäudes erschossen werden sollte. Zoran Zilić blieb zehn Jahre bei ihm und errang die Bewunderung des älteren Mannes als sadistischster Geldeintreiber, den er jemals beschäftigt hatte. Bei Schutzgelderpressung ist Einschüchterung das A und O. Zilić verstand sich darauf und genoss jede Sekunde.
1982 machte sich Zilić selbstständig und gründete mit sechsundzwanzig eine eigene Bande. Revierkämpfe mit seinem alten Boss blieben aus, weil Zemunac wenig später das Zeitliche segnete. Zilić führte seine Gang in Deutschland und Österreich fünf Jahre lang und beherrschte längst Deutsch und Englisch. Doch in der Heimat blieb nichts, wie es war.
Es gab keinen gleichwertigen Ersatz für Marschall Tito, den Helden aus dem Partisanenkrieg gegen Deutschland, der mit der schieren Kraft seiner Persönlichkeit das künstliche Staatsgebilde Jugoslawien so lange zusammengehalten hatte.
Die Achtzigerjahre standen im Zeichen einer Reihe von Koalitionsregierungen, die kamen und gingen, doch der Geist der Abspaltung und Unabhängigkeit wehte durch die Republiken Slowenien und Kroatien im Norden und Mazedonien im Süden.
1987 tat sich Zilić auf Gedeih und Verderb mit einem miesen kleinen Hinterbänkler der ehemaligen kommunistischen Partei zusammen, den andere übersehen oder unterschätzt hatten. Er legte zwei Eigenschaften an den Tag, die er schätzte: rücksichtsloses Machtstreben und die nötige Gerissenheit und Verschlagenheit, um Rivalen in Sicherheit zu wiegen, bis es zu spät war. Er hatte den Mann der Zukunft entdeckt. 1987 bot er Slobodan Milošević an, sich um seine Gegner zu »kümmern«. Er erhielt keine abschlägige Antwort und keine Anzeige.
1989 hatte Milošević begriffen, dass der Kommunismus ein Auslaufmodell war. Das Pferd, auf das man nun setzen musste, war der extreme serbische Nationalismus, der dem Land jedoch nur Unglück brachte. Zilić diente ihm fast bis zum Schluss.
Jugoslawien brach auseinander, und Milošević trat als Retter der nationalen Einheit auf, ließ allerdings unerwähnt, dass er seine Ziele durch einen Völkermord zu erreichen gedachte, der unter dem Namen »ethnische Säuberungen« bekannt werden sollte. Seine Popularität in der Teilrepublik Serbien beruhte auf dem Glauben, dass er Serben vor der Verfolgung durch andere Volksgruppen schützen werde.
Dazu mussten sie allerdings erst einmal verfolgt werden. Und wenn die Kroaten oder Bosniaken etwas schwer von Begriff waren, so musste man ihnen eben auf die Sprünge helfen. Normalerweise genügte ein kleines örtliches Massaker, um die Mehrheit der Einwohnerschaft gegen die serbische Minderheit aufzubringen. Dann konnte Milošević die Armee schicken, um die Serben zu retten. Zu
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