Der raetselhafte Kunstraub
„Und eigentlich weiß niemand so richtig, wo er herkommt“, überlegte Herr Pohmann weiter. „Irgendwo aus Südamerika, sagt man. Aber nichts Genaues weiß man nicht. Eines Tages war er einfach da. Und seitdem gehört er zu Bad Rittershude genauso wie der Gaskessel oder der Pulverturm am Stadtgraben. Sein Deutsch ist zwar immer noch wie aus einer Salatschüssel mit spanischen, italienischen und portugiesischen Sprachbrocken. Aber sein Ansehen als Maler und Bildhauer ist unbestritten. Sein Name erscheint immer wieder einmal in den Bad Rittershuder Nachrichten und soll sogar über die Stadt hinaus bekannt sein.“
Am anderen Ende des Bassins setzte der dicke Südamerikaner jetzt zu einer Wende an.
Im gleichen Augenblick kam Frau Kalender.
Der Bademeister blickte auf die Uhr, und dann sagte er: „Immer pünktlich wie die Eisenbahn.“ Fünf Minuten später hatte die Frau des Polizeimeisters von Bad Rittershude einen doppelten Korkring um den Leib. Herr Pohmann nahm sie an eine Angel und spazierte am Rand des Schwimmbeckens auf und ab. „Eins - zwei - drei - „, kommandierte er dabei, „eins - zwei - drei.“ Frau Kalender bewegte folgsam Arme und Beine. Gleichzeitig machte sie sich daran, das Schwimmbassin leer zu trinken. Aber das konnte für ihre Gesundheit ja nur gut sein. Das Mineralwasser von Bad Rittershude war jodhaltig und besonders empfohlen für Nieren und Kreislauf.
Drüben hatten die Jungen inzwischen die Duschen abgedreht und waren dabei, sich abzutrocknen. Sie hießen übrigens in ihrer Schule und auch in der Stadt, überall wo man sie kannte, die „Glorreichen Sieben“. Das kam von einem amerikanischen Film mit dem gleichen Titel, der einmal ziemlich lange im Apollo-Kino gelaufen war. Es war ein Western mit der Geschichte von sieben jungen Cowboys, die wie Pech und Schwefel zusammenhielten. Gleichgültig, ob gerade Pistolenkugeln durch die Luft flogen, Pfeile oder Tomahawks.
„Wie ein Bananendampfer, der viel zuviel geladen hat“, stellte Manuel fest. Er guckte dabei aus den Umkleidekabinen zur Halle hinüber. Natürlich meinte er nicht Frau Polizeimeister Kalender, sondern den Südamerikaner in seinem gelbblau gestreiften Badeanzug. Dem Vater von Manuel Kohl gehörte das Blumengeschäft am Rathausplatz mit angeschlossener Gärtnerei.
„Wie ein einzelner Mensch soviel Fett mit sich herumschleppen kann“, wunderte sich Karlchen Kubatz.
„Und dieses Rhinozeros verlangt, daß man uns nach Hause schickt!“ Fritz Treutlein rieb sich gerade den Rücken trocken.
„Nicht ungestraft“, stellte Paul Nachtigall fest. Sein Gesicht war so undurchsichtig wie bei einem Pokerspieler. „Abwarten und Tee trinken...“
Drüben drehte sich das Nilpferd namens Salvatore Ambrosi gerade um die eigene Längsachse und schwamm jetzt auf dem Rücken. Dabei sah man, wie der Badeanzug über dem Bauch spannte und dadurch die gelben und blauen Streifen ganz weit auseinandergezogen wurden.
„Geradezu widerlich!“ bemerkte Manuel Kohl.
„Und auf dem Rücken hat er Haare wie ein Affe“, meinte Emil Langhans abschließend. Er kletterte in seine Blue Jeans. Karlchen Kubatz hatte bereits sein buntkariertes Hemd aus dem schmalen Schrank geholt, Paul Nachtigall zog sich einen kerzengeraden Scheitel, und Fritz Treutlein drückte das letzte Wasser aus seiner Badehose.
Als die Glorreichen Sieben dann aus der Badeanstalt ins Freie kamen, war es schon ziemlich dunkel. Irgendwo schlug eine Uhr, und alle Geschäfte hatten bereits ihre Rolläden heruntergelassen. Es war Ende Mai, die Kastanienbäume blühten schon, aber trotzdem war es abends immer noch ziemlich kühl.
Weit und breit war niemand zu sehen. Nur zwei- oder dreimal fuhren Autos vorbei, und dann begegnete ihnen Polizeimeister Kalender auf dem Rathausplatz. Er spazierte gemütlich zum Hallenbad, um seine Ehehälfte vom Schwimmunterricht abzuholen.
Als die Glorreichen Sieben zum Kurpark kamen, verabschiedeten sich zuerst Karlchen Kubatz und Manuel Kohl. Zwei Minuten später verschwanden Emil Langhans und der hellblonde Pagenkopf aus der Apotheke beim Karlsplatz. An der nächsten Ecke sprang der kleine Sputnik auf eine Nummer drei der Straßenbahn, und schließlich verkrümelte sich Fritz Treutlein. Er sagte noch sehr höflich „gute Nacht“ und rannte los.
„Gleichfalls“, rief Paul Nachtigall noch hinter ihm her und fing jetzt auch an, schneller zu gehen. Schließlich verfiel er in einen regelrechten Dauerlauf, trabte zuerst quer über die
Weitere Kostenlose Bücher