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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Pausen, daß die Zimmertür seines Mietsmannes auf- und wieder zugemacht wurde und daß Tritte die Treppe herunterkamen. Jetzt hörte Herr Braß ganz auf zu schreiben, während er, die Feder in seiner Hand, aufs allerlauteste summte. Dabei wiegte er den Kopf von einer Seite zur andern wie ein Mann, dessen ganze Seele Musik ist, und seine Lippen umspielte ein wahrhaft seraphisches Lächeln.
    Die Treppe und die süßen Laute führten Kit natürlich dem Schauspiel dieses holden Hin- und Herwackelns zu. Sobald er aber vor der Tür anlangte, unterbrach Herr Braß seinen Gesang, nicht aber sein Lächeln, nickte zutraulich und winkte ihm mit der Feder, hereinzukommen.
    »Kit«, sagte Herr Braß in der denkbar gewinnendsten Weise, »wie befinden Sie sich?«
    Kit, der etwas scheu gegen diesen seinen Freund war, gab eine höfliche Antwort und hatte bereits seine Hand auf dem Schloß der Haustür, als ihn Herr Braß sanft zurückrief.
    »Sie werden doch, bitte, nicht schon gehen, Kit«, sagte der Anwalt mit einer geheimnisvollen, aber doch geschäftsmäßig aussehenden Miene. »Ists Ihnen nicht gefällig, ein wenig hereinzuspazieren? Ach du mein Himmel, du mein Himmel!
Wenn ich Sie sehe«, fügte der Rechtsgelehrte hinzu, indem er von seinem Bocke aufstand und sich mit dem Rücken gegen das Feuer stellte, »so werde ich an das süßeste kleine Gesicht erinnert, das mir je vor die Augen gekommen ist. Ich weiß noch recht wohl, wie Sie zwei- oder dreimal in das Haus kamen, nachdem wir davon Besitz ergriffen hatten. Ach, Kit, mein lieber Freund, Männer meines Berufes haben bisweilen so peinliche Pflichten zu erfüllen, daß Sie uns nicht beneiden dürfen, nein, wahrhaftig nicht!«
    »Das tue ich auch gar nicht, Sir«, versetzte Kit, »obschon es für meinesgleichen nicht paßt, darüber zu urteilen.«
    »Unser einziger Trost«, fuhr der Rechtsgelehrte fort, indem er ihn mit einer Art gedankenvoller Zerstreutheit ansah, »besteht darin, daß wir doch den Sturm zu beschwichtigen vermögen, wenn wir ihn auch nicht ganz abwenden können. Wir können ihn mildern, daß er, wenn ich so sagen darf, den geschorenen Lämmern weniger weh tut.«
    »Geschoren ist das rechte Wort!« dachte Kit, »das stimmt!« Aber er sagte nichts.
    »Bei jener Gelegenheit, Kit«, sagte Herr Braß, »bei der ebengenannten Gelegenheit hatte ich einen harten Strauß mit Herrn Quilp zu bestehen – denn Herr Quilp ist ein gefühlloser Mann –, um ihn zu der Nachsicht, die er ihnen zuteil werden ließ, zu bewegen. Es hätte mich einen Klienten kosten können. Aber die leidende Tugend begeisterte mich, und ich siegte.«
    »Er ist doch nicht gar so schlecht«, dachte der ehrliche Kit, als der Anwalt seine Lippen aufwarf und die Miene eines Mannes annahm, der mit seinen besseren Gefühlen kämpft.
    »Ich achte Sie, Kit«, fuhr Herr Braß mit Rührung fort. »Ich habe Sie damals oft genug in Ihrem Tun beobachten können, um Sie zu achten, obgleich Ihre Stellung nur eine niedrige und
Ihr Vermögen höchst unbedeutend ist. Nein, ich sehe nicht auf die Weste, die einer anhat, sondern auf das Herz. Die quadrillierten Streifen der Weste sind bloß die Drähte des Käfigs. Aber das Herz ist der Vogel. Ach, wie viele von diesen Vögeln mausern beständig und stecken ihre Schnäbel durch die Drähte, um nach aller Welt zu picken!«
    Diese poetische Figur, die Kit für eine spezielle Anspielung auf seine eigene quadrillierte Weste nahm, überwältigte ihn ganz und gar. Die Stimme und das Benehmen des Herrn Braß steigerte den Effekt nicht wenig, denn er sprach mit all dem milden Ernst eines Einsiedlers und hätte nur eines Strickes um seinen rostfleckigen Überrock und eines Totenkopfes auf dem Kaminsims bedurft, um sich ganz auf diesen Geschäftszweig werfen zu können.
    »Ja, ja«, sagte Sampson mit einem Lächeln, wie gute Menschen zu lächeln pflegen, wenn sie ihre eigene Schwäche oder die ihrer Nebenmenschen bemitleiden, »wir sind noch weit vom Ziele. Ists Ihnen gefällig, dies zu sich zu stecken?«
    Als er so sprach, deutete er auf zwei halbe Kronen, die auf dem Pulte lagen.
    Kit sah zuerst das Geld und dann Braß an und zögerte.
    »Es ist für Sie«, sagte Braß.
    »Von …«
    »Gleichviel, von wem es kommt«, versetzte der Rechtsgelehrte. »Wenn Sie wollen, sagen Sie von mir. Wir haben exzentrische Freunde zu unsern Häupten, Kit, und wir dürfen keine Frage stellen oder zuviel schwatzen, verstanden? Sie haben weiter nichts zu tun, als das Geld zu nehmen; und unter

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