Der Raritätenladen
und wenn sie darauflos fuhren, war es nichts anderes als die Straße selbst. Auch seltsame Wegwendungen, Brücken und Wasserflächen schienen da und dort aufzutauchen und den Weg unsicher zu machen; und doch fuhren sie immer auf derselben öden Straße, und all diese Dinge, wie die vorhergehenden, wurden zu trüben Täuschungen, sobald sie an ihnen vorbeigefahren waren.
Als sie an einem einsamen Posthause anlangten, stieg er langsam von seinem Sitz herunter – denn seine Glieder waren er
starrt – und fragte, wie weit sie noch bis zum Ziele ihrer Reise hätten. Es war schon spät für ein so abgelegenes Örtchen, und die Leute waren bereits zu Bett; eine Stimme aus einem oberen Fenster antwortete jedoch: »Zehn Meilen.« Die nun folgenden zehn Minuten schienen eine Stunde zu sein. Nach Ablauf dieser Zeit führte eine vor Kälte klappernde Gestalt die verlangten Pferde heraus, und nach einem weiteren kurzen Aufenthalt rollte der Wagen wieder dahin.
Es war eine querfeldein führende Landstraße, die nach den ersten drei oder vier zurückgelegten Meilen voll schneebedeckter Löcher und Räderfurchen war, die für die zitternden Pferde die reinsten Fallgruben bildeten und nur im Schritt zu fahren gestatteten. So aufgeregten Menschen, wie es unsere Reisenden nunmehr waren, schien das Stillsitzen bei dieser langsamen Fahrt beinahe unmöglich zu sein, weshalb alle drei ausstiegen und hinter dem Wagen hergingen. Die Entfernung wurde anscheinend nie geringer, und der Weg war ungemein beschwerlich. Jeder dachte schon in seinem Innern, der Kutscher müsse irregefahren sein, als plötzlich eine Kirchturmuhr ganz in der Nähe Mitternacht verkündete und der Wagen stehenblieb. Er hatte sich geräuschlos genug bewegt, aber als der Schnee unter ihm zu knirschen aufhörte, da war die Stille so auffallend, als wenn auf den größten Lärm plötzlich das tiefste Schweigen gefolgt wäre.
»Dies ist der Ort, meine Herren«, sagte der Postillion, indem er von seinem Pferde stieg und an die Tür eines kleinen Wirtshauses klopfte. »Holla! Wenns hier zwölf Uhr vorbei ist, trifft man keine Seele mehr außerhalb der Federn.«
Er klopfte laut und lange, ohne jedoch die schlafenden Insassen wecken zu können. Alles blieb wie zuvor finster und stumm. Sie traten ein wenig zurück und sahen zu den Fenstern hinauf, die nun wie schwarze Flecke auf der getünchten Front
mauer aussahen. Kein Licht erschien. Man hätte das Haus für verlassen oder die Schläfer für tot halten können, wollte man nach dem Anschein urteilen, den es bot.
Sie flüsterten merkwürdig befangen miteinander, als wollten sie nicht wieder den traurigen Widerhall wecken, der eben erst verklungen war.
»Wir wollen weitergehen«, sagte der jüngere Bruder, »und es diesem guten Burschen überlassen, sie zu wecken, wenn er kann. Ich habe keine Ruhe, bis ich weiß, daß wir nicht zu spät kommen. Gehen wir in Gottes Namen weiter!«
Das taten sie auch und ließen den Postillion zurück, damit er die Leute herausklopfe und ein Unterkommen, so gut das Haus es eben bieten konnte, für sie bestelle. Kit ging mit ihnen, ein kleines Bündel in der Hand, das er, als sie von London abgefahren waren, in den Wagen gehängt und seitdem nicht vergessen hatte. – Es war der Vogel in seinem alten Käfig, genau wie sie ihn verlassen hatte. Sie würde sich über ihren Vogel freuen, das wußte er.
Der Weg neigte sich sanft abwärts. Während sie weitergingen, verloren sie die Kirche, deren Turmuhr sie hatten schlagen hören, und die Häuser des kleinen Dorfes wieder aus dem Auge. Das erneute Klopfen, das sie in der stillen Nacht deutlich vernahmen, störte sie. Sie wünschten, der Mann unterließe es, und bedauerten, daß sie ihm nicht gesagt hatten, er solle das Schweigen nicht unterbrechen, bis sie wieder zurückkämen.
Der alte Kirchturm, in ein gespenstiges Gewand von reinem, kaltem Weiß gekleidet, stand jetzt wieder vor ihnen, und in wenigen Minuten fanden sie sich dicht an seiner Seite. Ein ehrwürdiges Gebäude – grau, sogar inmitten der beschneiten Landschaft. Eine alte Sonnenuhr an dem Glockenstuhl war beinahe unter dem Schnee verborgen, und man konnte kaum erkennen, was sie vorstellte. Die Zeit selbst schien stumpf und
alt geworden zu sein, als ob kein Tag mehr dieser schwermütigen Nacht folgen sollte.
Ein Pförtchen war ganz in der Nähe, aber es gab mehr als einen Pfad über den Kirchhof, zu dem es führte, und da sie nicht wußten, welchen sie einschlagen sollten,
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