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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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blieben sie abermals stehen.
    Die Dorfstraße – wenn man das überhaupt Straße nennen konnte, was nichts weiter war als eine unregelmäßige Gruppe armseliger Hütten, verschieden in Höhe und im Alter, einige mit der Vorderseite, andere mit der Hinterwand, wieder andere mit dem Giebel dem Weg zugekehrt, hier und da sogar ein Wegweiser oder ein Schuppen, der sich in den Weg drängte – lag dicht vor ihnen. Ganz in der Nähe schimmerte ein mattes Licht hinter einem Kammerfenster, und Kit eilte auf das Haus zu, um nach dem Wege zu fragen.
    Sein erster Anruf wurde innen von einem alten Mann beantwortet, der, nachdem er zuvor seinen Hals durch irgendein Kleidungsstück gegen die Kälte verwahrt hatte, alsbald an dem Fenster erschien und fragte, wer zu so später Stunde noch etwas von ihm wolle.
    »Es ist ein schauerliches Wetter«, brummte er, »und keine Nacht, in der man mich zu rufen braucht. Mein Gewerbe ist nicht von der Art, daß man mich aus dem Bett wecken muß. Das, wozu mich die Leute brauchen, hält sich, insbesondere in dieser kalten Jahreszeit. Was wollt Ihr?«
    »Ich würde Euch nicht geweckt haben, wenn ich gewußt hätte, daß Ihr alt und krank seid«, sagte Kit.
    »Alt?« versetzte der andere verdrießlich. »Wie könnt Ihr wissen, daß ich alt bin? Vielleicht nicht so alt, als Ihr denkt, mein guter Freund. Was das Kranksein anbelangt, so werdet Ihr viele junge Leute finden, die weit übler daran sind als ich. Freilich schade darum – nicht, daß ich für meine Jahre noch kräf
tig und munter bin, meine ich, sondern daß sie zart und gebrechlich sind. Doch ich bitte um Verzeihung«, fügte der alte Mann hinzu, »wenn ich anfangs etwas barsch war. Meine Augen sind des Nachts nicht gut; das rührt aber weder von Alter noch von Krankheit her; sie waren es nie – und ich sah nicht, daß Ihr ein Fremder seid.«
    »Es tut mir leid, daß ich Euch aus Eurem Bett rief«, entgegnete Kit; »aber die Herren dort an dem Kirchhofpförtchen sind auch Fremde und kommen eben von einer langen Reise, um in dem Pfarrhause vorzusprechen. Ihr könnt uns wohl hinweisen?«
    »Das sollte ich wohl«, antwortete der alte Mann mit zitternder Stimme, »denn mit kommendem Sommer bin ich gute fünfzig Jahre hier Totengräber. Der Pfad rechts führt hin, Freund. – Es gibt doch hoffentlich keine schlimmen Nachrichten für unsern guten Herrn?«
    Kit dankte ihm und gab ihm hastig eine verneinende Antwort. Er wollte eben zurückkehren, als seine Aufmerksamkeit von der Stimme eines Kindes gefesselt wurde. Beim Aufblicken gewahrte er ein sehr kleines Geschöpf an einem benachbarten Fenster.
    »Was gibt es?« rief das Kind mit flehender Stimme. »Ist mein Traum wahr geworden? Ich bitte, sage mirs, wer du auch sein magst, der noch wach und auf ist!«
    »Armer Knabe!« sagte der Totengräber, ehe Kit antworten konnte. »Wie geht es dir, Lieber?«
    »Ist mein Traum wahr geworden?« rief das Kind wieder in einem so inbrünstigen Tone, daß er jedem Zuhörer bis ins Herz dringen mußte. »Aber nein, es kann nicht sein! Wie wäre es möglich – oh, wie wäre es möglich!«
    »Ich errate, was er meint«, sagte der Totengräber. »Geh wieder zu Bett, mein armer Junge!«
    »Ja!« rief das Kind in einem Ausbruch von Verzweiflung; »ich wußte, daß es nicht sein kann; ich war ja ganz sicher, noch ehe ich fragte! Aber die ganze Nacht und auch gestern nacht war es immer das gleiche. Ich schlafe nie ein, ohne daß jener grausame Traum zurückkehrt.«
    »Versuche wieder einzuschlafen«, entgegnete der alte Mann beschwichtigend. »Er wird bald nicht mehr kommen.«
    »Nein, nein, ich wollte lieber, daß er bliebe – so grausam er ist, wollte ich doch lieber, daß er bliebe«, versetzte das Kind. »Ich fürchte mich nicht, wenn er mich im Schlaf besucht; aber ich bin so traurig, so schrecklich traurig!«
    »Gott behüte dich, armes Kind!« sagte der alte Mann, worauf das Kind unter Tränen gute Nacht wünschte und Kit wieder allein war.
    Tief ergriffen von dem, was er gehört, mehr aber noch von dem Wesen des Kindes als von seinen Worten, die er nicht verstand, eilte Kit wieder zurück. Sie schlugen den vom Totengräber angedeuteten Pfad ein und langten bald vor dem Pfarrhause an. Hier sahen sie sich um und entdeckten in den fernstehenden, halb verfallenen Gebäuden ein einziges einsames Licht. Dem Anschein nach kam es aus einem alten gotischen Fenster und funkelte aus den tiefen Schatten der überhängenden Mauern wie ein Stern. Hell und schimmernd

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