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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Geld um, und mit einem ehrlich erworbenen Vermögen, das wohl für beide reichte, mit offenem Herzen und offener Hand, von zitternden Gliedern vorwärts getragen und mit Empfindungen, die fast zu stark für die Seele eines Menschen sind, langte er eines Abends an der Tür seines Bruders an!«
    Der Erzähler, dessen Stimme bei den Schlußworten unsicher geworden war, hielt jetzt inne.
    »Den Rest«, sagte Herr Garland, indem er die Hand seines Gefährten drückte, »weiß ich.«
    »Ja«, versetzte sein Freund nach einer Pause, »wir können uns das übrige ersparen. Sie kennen das armselige Ergebnis aller meiner Nachforschungen. Selbst als wir durch Erkundigungen, wie sie nur der größte Eifer und Scharfsinn anzustellen vermag, die Entdeckung machten, daß sie in Gesellschaft von zwei armen wandernden Puppenspielern gesehen worden waren, als wir mit der Zeit die Männer selbst auffanden und später auch den Ort, an dem sich die Flüchtlinge aufgehalten, selbst damals kamen wir zu spät. Gebe Gott, daß es uns nicht wieder so ergehe!«
    »Das kann nicht sein«, sagte Herr Garland. »Diesmal muß es uns gelingen.«
    »Das habe ich immer geglaubt und gehofft«, entgegnete der andere, »und will versuchen, auch noch länger zu glauben und zu hoffen. Aber eine schwere Last liegt auf meiner Seele, lieber Freund, und die Trauer, die mich übermannt, will weder der Hoffnung noch den Vorstellungen der Vernunft weichen.«
    »Das nimmt mich nicht wunder«, erwiderte Herr Garland, »es ist eine natürliche Folge der Ereignisse, die Sie sich ins Ge
dächtnis zurückgerufen haben, der trübseligen Verhältnisse von Ort und Zeit und namentlich dieser wilden und unheimlichen Nacht. Bei Gott, die Nacht ist unheimlich! Hören Sie, wie der Wind heult!«

Siebzigstes Kapitel
    Mit dem Anbruche des Morgens befanden sie sich noch auf dem Wege. Seit sie die Heimat verlassen, hatten sie da und dort der nötigen Erfrischung wegen angehalten und waren, namentlich in der Nacht, wenn man auf frische Pferde warten mußte, häufig aufgehalten worden. Weitere Unterbrechungen waren nicht vorgekommen, aber das Wetter wütete fort, und die Wege waren oft steil und mühsam. Es mochte wohl wieder Nacht werden, ehe sie ihr Reiseziel erreichen würden.
    Kit, der gegen die Kälte ganz unempfindlich und hart geworden war, hielt mannhaft aus; und da er genug zu tun hatte, um sein Blut in gehöriger Zirkulation zu erhalten, sich das glückliche Ende dieser abenteuerlichen Reise auszumalen und mit Staunen die Umgebung zu betrachten, so blieb ihm wenig Zeit übrig, an die Unbequemlichkeiten der Reise zu denken. Obgleich seine Ungeduld wie auch die seiner Reisegefährten mit dem Hinschwinden des Tages immer mehr zunahm, standen doch die Stunden nicht still. Das kurze Licht des winterlichen Tages neigte sich bald seinem Ende zu, und es war schon wieder dunkel, als sie noch manche Meile vor sich liegen hatten.
    Mit dem Eintritt der Dämmerung legte sich der Wind. Sein fernes Stöhnen klang leise und kläglich; und als er über den Weg hinschlich, leise in dem trockenen Gestrüpp zu beiden Seiten der Straße raschelnd, da schien er irgendein großes Ge
spenst zu sein, dessen Gewand rauschte, während es auf dem Wege, der ihm zu schmal ist, hinschreitet. Nach und nach erstarb auch das letzte Säuseln, und dann begann es zu schneien.
    Die Flocken fielen schnell und dicht, bedeckten den Boden mehrere Zoll hoch und verbreiteten allenthalben ein feierliches Schweigen. Die Räder rollten lautlos dahin, und der scharf dröhnende Hufschlag wurde zu einem dumpfen Stampfen. Das Geräusch ihrer Fahrt schien langsam ganz zum Schweigen gebracht und durch etwas Totenähnliches verdrängt worden zu sein.
    Die Augen mit vorgehaltener Hand gegen den fallenden Schnee schützend, der an den Wimpern anfror und den Blick blendete, versuchte Kit oft, den ersten Schimmer von blinkenden Lichtern zu erhaschen, die ihm angezeigt hätten, daß sie sich kurz vor einer Stadt befänden. Dann unterschied er wohl immer eine Menge von Dingen, aber nie mit Sicherheit. Da war ein hoher Kirchturm, der sich bald darauf in einen Baum verwandelte; eine Scheune, ein Schatten auf dem Boden, der von ihren eignen hellen Laternen herrührte. Er sah Reiter, Fußgänger, Wagen, die vor ihnen herzogen oder ihnen an engen Stellen entgegenkamen; aber auch sie entpuppten sich als Schatten, wenn sie ihnen nahe genug waren. Eine Mauer, eine Ruine, ein breiter Dachgiebel pflanzte sich plötzlich auf der Straße auf;

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