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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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wie die Sterne zu ihren Häuptern, einsam und regungslos wie sie, schien es Anspruch auf die Verwandtschaft mit den ewigen Lichtern des Himmels zu erheben und vereint mit ihnen zu brennen.
    »Was ist dort für ein Licht?« fragte der jüngere Bruder.
    »Sicher kommt es aus der Ruine, in der sie wohnen«, sagte Herr Garland. »Ich sehe sonst keine andern Gebäude hierherum.«
    »Sie können doch nicht in so später Stunde noch wach sein!« entgegnete der Bruder hastig.
    Kit legte sich alsbald ins Mittel und bat, sie möchten ihn, während sie hier klingelten und an der Tür warteten, bis zudem Lichte vordringen lassen, damit er sich überzeugen könne, ob noch Leute auf wären. Nachdem er die gewünschte Erlaubnis erhalten, eilte er in atemloser Hast, noch immer den Vogelkäfig in der Hand tragend, dem schimmernden Fenster zu.
    Es war nicht leicht, zwischen den Gräbern diesen Sturmschritt einzuhalten, und zu jeder andern Zeit würde er wohl langsamer oder auf den Windungen des Pfades gegangen sein. Ohne jedoch der Hindernisse zu achten, drang er mit nicht erschlaffender Eile vorwärts und befand sich bald knapp vor dem Fenster.
    Er trat so leise als möglich näher, drängte sich so hart an die Mauer, daß er mit seinen Kleidern den Schnee von dem Efeu fegte, und horchte. Nichts regte sich im Innern des Hauses. Die Kirche selbst hätte nicht ruhiger sein können. Er berührte das Glas mit seiner Wange und horchte weiter. Nichts. Und doch war es ringsherum so still, daß er meinte, er hätte sogar den Atem eines Schlafenden hören müssen, wenn ein lebendes Wesen drinnen gewesen wäre.
    Seltsam – ein Licht zu solcher Stunde und an einem solchen Orte, ohne daß jemand in der Nähe war.
    Da ein Vorhang den untern Teil des Fensters verhüllte, konnte er nicht in das Gemach sehen. Aber es fiel kein Schatten von innen auf diesen Vorhang. An der Mauer hinanzuklettern und den Versuch zu machen, von oben hineinzusehen, wäre mit etwas Gefahr verbunden gewesen, jedenfalls mit einigem Lärm, der möglicherweise das Kind hätte erschrecken können, wenn das wirklich seine Wohnung war. Er horchte und horchte, aber nichts unterbrach das tödliche Schweigen.
    Mit langsamen und vorsichtigen Tritten zog er sich von der
Stelle zurück, ging einige Schritte an dem Gebäude weiter und kam endlich zu einer Tür. Er klopfte. Keine Antwort. Aber von innen vernahm er ein wunderliches Geräusch. Es war schwer, sich Gewißheit zu verschaffen, was es eigentlich war. Es klang ungefähr wie das leise Stöhnen eines Leidenden, konnte es aber doch wieder nicht sein, denn dafür war es viel zu regelmäßig und ununterbrochen. Jetzt schien es eine Art Gesang zu sein, jetzt ein Wehklagen – so kam es nämlich seiner wechselnden Einbildungskraft vor, denn der Ton blieb sich immer gleich und brach nie ab. Er hatte nie etwas Ähnliches gehört, und in dem Klange lag etwas Schreckliches, Ergreifendes und Überirdisches.
    Dem Zuhörer rann das Blut jetzt kälter durch die Adern, als vorher in Frost und Kälte; aber er klopfte wieder. Noch immer keine Antwort, und den klagenden Ton unterbrach nichts. Er drückte sanft auf die Klinke und stemmte sein Knie gegen die Tür. Sie war wohl von innen verwahrt, gab aber trotzdem dem Drucke nach und drehte sich in ihren Angeln. Er sah den Widerschein eines Feuers auf den alten Wänden und trat ein.

Einundsiebzigstes Kapitel
    Die düstere rote Glut eines Holzfeuers – denn es brannte weder Kerze noch Lampe in dem Raum – zeigte ihm eine Gestalt, die ihm den Rücken zuwandte und neben der flackernden Flamme am Herde saß. Die Stellung war die eines Menschen, der Wärme sucht. Sie war es, und war es doch nicht. Die gebeugte Haltung und die zusammengekauerte Gestalt war da, aber keine Hände streckten sich der behaglichen Glut entgegen, kein Zucken oder wohliges Schaudern verriet den Genuß, den sie empfinden mußte, wenn sie an die durchdrin
gende Kälte draußen dachte. Mit zusammengekrümmten Gliedern, gebeugtem Haupt, auf der Brust gekreuzten Armen und dicht verschlungenen Fingern wiegte sie sich unablässig auf ihrem Sitze hin und her und begleitete diese Bewegung mit dem kläglichen Ton, den Kit gehört hatte.
    Nachdem er eingetreten war, schlug die schwere Tür so laut zu, daß er zusammenfuhr. Die Gestalt gab übrigens weder durch eine Bewegung noch durch einen Blick oder ein sonstiges Zeichen im geringsten zu erkennen, daß sie das Geräusch wahrgenommen hatte. Es war die eines alten Mannes mit einem

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