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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Haupte so weiß wie die zerfallende Asche, auf die sie schaute. Er, das ersterbende Licht, das verglimmende Feuer, das verwitterte Gemach, die Einsamkeit, das verzehrte Leben und das Düster gehörten zueinander. – Asche, Staub und Trümmer!
    Kit versuchte zu reden und sprach einige Worte, obgleich er kaum wußte, was. Aber immer noch erklangen dieselben dumpfen, schrecklichen Töne, immer noch wiegte sich die Gestalt auf dem Stuhle, dieselbe gebrochene Gestalt, unverändert und unbekümmert um seine Anwesenheit.
    Er hatte bereits seine Hand wieder auf der Klinke, als ihm etwas in der Gestalt auffiel – er konnte sie deutlich sehen, da ein Holzscheit in diesem Augenblick zusammenfiel und im Zusammenstürzen hell aufloderte –, das ihn die Hand zurückziehen ließ. Er kehrte wieder an seinen früheren Platz zurück, trat einen Schritt näher, wieder einen und noch einen. – Jetzt nur noch einen, und er sah das Gesicht. Ja, so verändert es war, er erkannte es doch.
    »Herr!« rief er, sich auf ein Knie niederlassend. »Lieber Herr, sprechen Sie zu mir!«
    Der alte Mann wandte sich langsam zu ihm und murmelte mit hohler Stimme:
    »Da ist wieder ein neuer! – Wie viele von diesen Geistern sind nicht heute schon hier gewesen!«
    »Kein Geist, Herr. Nur Ihr alter Diener. O gewiß, Sie müssen mich noch kennen. Miß Nell – wo ist sie – wo ist sie?«
    »Das fragen sie alle!« rief der alte Mann. »Sie stellen alle die gleiche Frage an mich. Ein Geist!«
    »Wo ist sie?« fragte Kit. »Oh, sagen Sie mir nur dies, nur das, mein lieber Herr!«
    »Sie schläft – dort – dort drinnen.«
    »Gott sei Dank!«
    »Ja! Gott sei Dank!« entgegnete der alte Mann. »Ich habe zu ihm gebetet – manche, manche und manche ewiglange Nacht, als sie schlief. Er weiß es. Horch! hat sie nicht gerufen?«
    »Ich habe keine Stimme gehört.«
    »O freilich. Du hörst sie jetzt. Willst du mir weismachen, daß du dies nicht hörst?«
    Er fuhr auf und horchte abermals.
    »Auch das nicht?« rief er mit einem triumphierenden Lächeln. »Kann jemand diese Stimme so gut kennen wie ich! Bst! Bst!«
    Er winkte ihm zu schweigen und schlich in eine andere Kammer. Nach einer kurzen Abwesenheit – man hörte ihn inzwischen in leisen, beruhigenden Lauten sprechen – kam er mit einer Lampe in der Hand zurück.
    »Sie schläft noch«, flüsterte er, »du hast recht. Sie hat nicht gerufen. Sie müßte es denn im Schlummer getan haben. Sie hat mich auch sonst schon im Schlafe gerufen, Sir; während ich wachend bei ihr saß, sah ich ihre Lippen sich bewegen, und da wußte ich, obgleich ihnen kein Laut entglitt, daß sie von mir sprach. Ich fürchtete, das Licht möchte ihre Augen blenden und sie wecken, ich habe es deshalb mit herausgenommen.«
    Er sprach mehr zu sich selbst als zu seinem Besuch. Als er jedoch die Lampe auf den Tisch gestellt hatte, nahm er sie wieder auf, wie wenn ihn irgendeine augenblickliche Erinnerung dazu triebe, und hielt sie gegen Kits Gesicht. Dann wandte er sich, als vergäße er während dieser Bewegung seine Absicht, zur Seite und stellte sie wieder nieder.
    »Sie schläft fest«, sagte er; »aber es ist kein Wunder. Engelhände haben den Boden hoch mit Schnee bestreut, damit auch der leiseste Fußtritt noch leichter werde; und auch die Vögel sind tot, damit sie meine Kleine nicht wecken. Sie war sonst gewohnt, sie zu füttern. Mögen sie auch noch so sehr frieren und hungern, die scheuen Dinger fliegen vor uns fort, vor ihr flohen sie nie!«
    Er hielt wieder inne, um zu horchen, und indem er kaum zu atmen wagte, stand er lange, lange lauschend da. Nachdem er auch in seiner Einbildung nichts mehr hörte, öffnete er eine alte Truhe, nahm einige Kleider so zärtlich heraus, als ob sie lebende Wesen wären, und begann sie mit der Hand zu glätten und zu streicheln.
    »Warum liegst du so untätig da, liebe Nell«, murmelte er, »da es doch draußen schöne rote Beeren gibt, die nur auf deine pflückende Hand warten? Und warum liegst du so untätig da, wenn deine kleinen Freunde zu der Tür gekrochen kommen und rufen: ›Wo ist Nell, die süße Nell?‹ und schluchzen und weinen, weil sie dich nicht sehen? Sie war immer so sanft gegen die Kinder. Das wildeste von ihnen würde ihr gefolgt haben; sie wußte so gar zart mit den Kindern umzugehen – ja gewiß!«
    Kit vermochte nicht zu sprechen. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
    »Ihr kleines Hauskleidchen, ihr Lieblingskleidchen!« rief der alte Mann, drückte es an seine

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