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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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die Position seines Boots und die anderer Schiffe ausmachen.
    »Fertig, Sparrow?«
    »Sie sind verrückt, Lee«, sagte Hawkwood. »Glauben Sie etwa, niemand wird bemerken, dass das Boot untertaucht?«
    Lee wandte kurz den Kopf und entgegnete schulterzuckend: »Bemerkt wird es wahrscheinlich, aber bevor ein Bootsführer reagieren kann, sind wir längst nicht mehr zu sehen. Er wird glauben, er sei einer Fata Morgana aufgesessen.«
    Sparrows Hände lagen auf dem Pumpenschwengel.
    Lee schaute wieder durch das Bullauge nach vorn.
    Das Boot ist trotz all dieser Vorkehrungen Gefahren ausgesetzt, dachte Hawkwood. Nachdem das Segel gerafft, der Mast an Deck befestigt und die Turmluke geschlossen ist, sieht die Narwal wie ein unbemannt dahintreibendes Boot aus und könnte Flusspiraten anlocken. Lee setzt auf den Überraschungseffekt und auf die Geschwindigkeit, mit der das Boot untertauchen kann. Fulton hat die Nautilus innerhalb von zwei Minuten tauchen lassen können. Lee hat die Konstruktion so verbessert, dass dafür jetzt nur noch neunzig Sekunden nötig sind. Eine Ewigkeit für die Männer an Bord.
    Lee hielt wie immer in kritischen Situationen die Luft an. Er bemühte sich langsam auszuatmen, ohne die Augen vom Bullauge zu nehmen. So weit er erkennen konnte, trieb wegen der Flaute etwa hundert Meter vom Bug entfernt ein Kohlenschiff auf dem Fluss. Von seinem so tief gelegenen Blickwinkel aus kräuselten nur leichte Wellen das träge dahinfließende Wasser.
    Es kam auf den richtigen Zeitpunkt an.
    »Jetzt, Sparrow!«, riet er dem Matrosen zu.
    Sparrow packte mit beiden Händen den Pumpenschwengel und drückte ihn nieder. Sofort gab die Narwal ein gurgelndes Geräusch von sich, dann bebte das Boot. Sparrow fing an, ruhig und gleichmäßig zu pumpen. Er hörte sich an wie ein Blasebalg. Langsam senkte sich der Bug. Hawkwood ballte die Fäuste so fest, dass sich die Fingernägel in seine Handfläche gruben.
    Allmählich stabilisierte sich das Boot, und plötzlich wurde das Licht noch fahler. Hawkwood blickte nach oben und sah, dass sich die Bullaugen trübten. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Auf Lees Gesicht lag ein milchig grünlicher Schimmer. Die winzigen Bullaugen glichen Prismen, die das Licht von der Wasseroberfläche absorbierten und brachen. Das verlieh Lees Gesicht das Aussehen eines Reptils.
    »Pumpen stopp!«, befahl der Amerikaner jetzt ganz ruhig.
    Wie ein in Bernstein eingeschlossenes Insekt lag die Narwal in eineinhalb Metern Tiefe nun im schmutzigbraunen Wasser der Themse und wurde von der Strömung flussabwärts getragen. Die Stille im Boot war unheimlich – als wäre die Zeit stehen geblieben. Aber noch immer drang genügend Helligkeit durch die Bullaugen, um etwas erkennen zu können. Was Hawkwood sehr erleichterte. Ein kratzendes Geräusch an der Außenwand brach den Bann und ließ ihn zusammenzucken.
    »Sie müssen nicht erschrecken«, beruhigte ihn Lee und verließ seinen Aussichtsposten. »Die Strömung reibt sich am Rumpf.« Dann vergewisserte er sich, dass nirgends Wasser durch ein eventuelles Leck eindrang. Zufrieden mit seiner Inspektion sah er Hawkwood an und sagte: »Na, sind Sie nicht beeindruckt?«
    Hawkwood antwortete nicht, denn er war zu sehr mit seinem Herzen beschäftigt, das wie ein Schmiedehammer schlug.
    »Und das ist erst der Anfang«, redete Lee ungerührt weiter.
    »Stellen Sie sich eine ganze Flotte Unterseeboote unter Ihrem Kommando vor. Dann wäre jeder Krieg überflüssig und würde nur noch in Geschichtsbüchern weiterleben.«
    »Wie das?«, fragte Hawkwood, endlich wieder der Sprache mächtig.
    »Es heißt doch, ein Land sei nur so stark wie seine Marine. Die Zerstörung der Kriegsmarine würde jeder Nation das Rückgrat brechen.« Der Amerikaner machte eine Pause und fügte dann schulterzuckend hinzu: »Das sehen zumindest Fulton und Napoleon so. Soll ich Sie in die Kriegspläne des Kaisers einweihen?«
    »Das werden Sie sowieso tun, ob es mich nun interessiert oder nicht«, sagte Hawkwood.
    »Napoleon ist der festen Überzeugung, dass durch die Zerstörung der Thetis die britische Kriegsmarine in die Knie gezwungen wird. Das Vertrauen in Ihre Seestreitkräfte wird schwinden und die Flotte stillgelegt, weil sie nutzlos geworden ist. Nach Meinung des Kaisers wäre dies das Signal für die britischen Republikaner, sich gegen die Krone zu erheben. Wird Britannien eine Republik, wäre die Freiheit der Meere gesichert, und diese Freiheit wäre wiederum ein Garant für

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