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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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ragen zu lassen.
    Lee hatte nicht viel Raum zum Manövrieren. Selbst beim Höchststand der Flut stieg der Wasserspiegel nicht über sechs Meter. Im Laufe der Jahre war die Themse immer mehr verschlammt, und es war vorauszusehen, dass größere Schiffe bald nicht mehr die flussaufwärts gelegenen Docks anlaufen konnten. Für Kriegsschiffe war die Wassertiefe der Marinewerft in Deptford zu gering, um Proviant und Ausrüstung an Bord nehmen und unter voller Takelage auslaufen zu können. Nur mit einem Notmast und einem Segel ausstaffiert, trieben die Schiffe nach Woolwich und nahmen dort alles an Bord, was für die Kriegsführung auf See nötig war.
    Und die HMS Thetis war kurz davor, zu ihrer Jungfernfahrt auszulaufen.
    Das Kriegsschiff bietet wirklich einen prächtigen Anblick, dachte Lee. Wie ein funkelnder Stern glänzt es im Morgenlicht. Der Notmast war schon aufgerichtet und reckte sich pfeilgerade in die Höhe. Wimpel und Flaggen flatterten an jeder Reling. Der Stapellauf war ein bedeutendes Ereignis und das Schiff entsprechend geschmückt.
    Ein Schauder der Erregung überlief Lee.
    Hawkwood zerrte verbissen an seinen Handfesseln. An der Anspannung des Amerikaners spürte er, dass Lee zum Angriff bereit war.
    Mir läuft die Zeit davon, dachte Hawkwood. Ich kann ihn nicht mehr aufhalten.
    »Die Thetis ist ein wunderschönes Schiff, mein Freund«, sagte Lee grinsend. »Leider werden Sie nie einen Blick darauf werfen können. Eigentlich ist es jammerschade, dass von ihr in Kürze nichts als Treibholz übrig sein wird. Mehr Gelassenheit, Sparrow. So nahe am Ziel dürfen wir keinen Fehler begehen.«
    Die Narwal glitt ganz langsam durchs Wasser. Lee hielt nach Schutzvorrichtungen, Abfangnetzen, Fendern oder getarnten Fallen Ausschau, irgendetwas, das darauf hinwies, dass die Marine einen Angriff befürchtete. Erstaunlicherweise schien das Schiff völlig ungeschützt zu sein. Lee erinnerte sich, dass Hawkwood erwähnt hatte, seine Männer hätten das Lagerhaus umringt. Aber da war niemand gewesen. Hawkwood war allein gekommen. Also war auch Hawkwoods Aussage, die Admiralität wisse von dem geplanten Angriff auf die Thetis, eine Schutzbehauptung gewesen. Wahrscheinlich rechneten die Stabsoffiziere damit, dass der Anschlag weiter flussabwärts, in der Themsemündung, und nicht mitten in der Hauptstadt erfolgen würde. Lee grinste. Diese verdammten Idioten! Er würde diesen arroganten Briten einen vernichtenden Schlag versetzen.
    Lee gab Befehl zum Untertauchen. Lautlos versank die Narwal in den Wassern der Themse. Nur noch knapp zweihundert Meter trennten das Unterwasserboot nun von seinem ahnungslosen Zielobjekt.

19
    Die Entscheidung liegt bei Ihnen, Corporal«, sagte Jago aufgebracht. »Entweder Sie holen den Obersten Richter hierher, oder Sie bringen mich zu ihm. Und wenn das nicht sofort passiert, reiße ich Ihnen den Arsch auf und suche den Richter selbst. Na, wie hätten Sie’s denn gern?«
    Der Maat umklammerte seine Flinte und schluckte nervös. Ein wütender Jago war ein furchteinflößender Anblick. Der Corporal hatte Jago an der Treppe zum Kai der Marinewerft den Zutritt verwehrt. So lautete sein Befehl.
    »Das geht nicht. Sie sind nicht autorisiert, das Gelände zu betreten«, entgegnete der Corporal, mühsam nach Worten ringend.
    Da griff Jago unter seine Jacke und zog Hawkwoods Schlagstock hervor. »Mehr als diese Genehmigung brauche ich nicht, Kleiner. Also, zieh deinen Schwanz wieder ein, und auf geht’s. Aber dalli, dalli!«
    Der Corporal musterte Jago jetzt unsicher.
    »Na, wird’s bald?«
    Der Corporal betrachtete den Schlagstock eingehend, erkannte die königliche Krone darauf und ließ den Blick wieder zu Jagos unheilverkündendem Gesicht wandern. Dann sah er sich vorsichtig um, zögerte, bis er endlich seine Flinte schulterte und sagte: »Na, besser Sie kommen mit.«
    Das prächtige Kriegsschiff präsentierte sich in vollem Glanz. Der Rumpf des Zweideckers war senfgelb gestrichen, die oberen Schandeckel und die Schießscharten der Kanonen pechschwarz. Eine Flottille kleiner Boote umschwirrte das Schiff wie Arbeitsbienen ihre Königin.
    Kutter, Prahme, Pinassen, Skiffe und Leichter brachten Ausrüstungsgegenstände und Proviant zum Schiff, während die Offiziere und Mannschaften von Segelyachten, Jollen und Gigs an Bord gingen.
    Am Heck prangte stolz ihr Name: Thetis.
    Auf der Werft herrschte ein Betrieb wie in einem Gewerbegebiet. Innerhalb der dicken Schutzmauern gab es Werkstätten aller Art,

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