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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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allein die vom Major so hoch geschätzte Taschenuhr, die die Regimentsleitung jüngeren Offizieren als Anerkennung hervorragender Dienste verlieh.
    Die Briten hatten die spanischen Befestigungsanlagen mit bewährten, wenn auch mittelalterlichen Methoden belagert. Mit Sturmböcken und Brustwehren, Schanzkörben und Faschinen hatten sie für die Geschütze, die mit Kriegsschiffen von Rio de Janeiro herbeigeschafft wurden, Barrikaden errichtet. Es hatte vier Tage gedauert, bis die Tore und die sechs Meter dicken Mauern der Stadt den Kanonenkugeln nicht mehr standgehalten hatten und zusammengebrochen waren. Kurz vor Tagesanbruch, noch im Schutz der Dunkelheit, hatte ein Himmelfahrtskommando der britischen Truppen unter dem Befehl von Captain Renny die Stadt gestürmt. Da der Captain von einer Musketenkugel getroffen worden war, hatte der junge Leutnant Lawrence buchstäblich in die Bresche springen müssen und die Soldaten über die Mauern in die Stadt geführt.
    Sir Samuel Auchmuty hatte die Tapferkeit seines jungen Offiziers mit einem Geschenk – seiner eigenen Taschenuhr – geehrt und ihn im Gedenken an den gefallenen Renny zum Captain befördert.
    Jetzt kam die Serviererin mit den Getränken zurück. Sie schenkte Fitzhugh wieder ein Lächeln und entfernte sich mit einem besonders provozierenden Schwung ihrer breiten Hüften.
    »Ein verdammt merkwürdiger Berufswechsel«, überlegte Leutnant Fitzhugh laut und nippte an seinem Becher. »Vom Scharfschützen zum Runner.«
    »Und wie ich ihn einschätze, ist er ein verdammt tüchtiger Polizist«, entgegnete Lawrence und fügte nachdenklich hinzu:
    »Obwohl ich bezweifle, dass er dadurch viele Freunde gewonnen hat.«
    Ehe sich der Leutnant zu dieser Bemerkung äußern konnte, stand der Major auf, leerte sein Glas, klopfte seinen Pfeifenkopf am Tischbein aus und musste beim Anblick des Gesichtsausdrucks des Leutnants grinsen. »Na los, Fitz. Trinken Sie aus. Es wird Zeit, dass wir uns auf den Weg machen. Die Serviererin hat derart mit Ihnen geschäkert, dass mir unsere Verabredung bei Mistress Flanagha wieder eingefallen ist. Die drallen Möpse dieser kleinen Hure sind eine Augenweide und haben meinen Appetit geweckt.« Ohne auf eine Antwort zu warten, steckte der Major seine Pfeife ein, griff nach seinem Tschako und ging zur Tür.
    Als Fitzhugh merkte, dass er einfach sitzen gelassen wurde, kippte er seinen Brandy hinunter und folgte dem Major nach draußen.
    Während die beiden Offiziere durch die dunkle Straße ihrem Ziel entgegenstrebten, kehrten Major Lawrences Gedanken zu der Begegnung im Hof der Taverne zurück. Natürlich hätte er Fitzhugh mehr über den wortkargen Exscharfschützen erzählen können, aber ein gewisser Ausdruck in Hawkwoods Augen hatte ihm Zurückhaltung geboten. Ganz offensichtlich wollte Hawkwood seine Vergangenheit – aus welchen Gründen auch immer – im Dunkeln lassen. Geistesabwesend tastete der Major nach der Uhrenkette, vergewisserte sich, dass die Taschenuhr noch unter seiner Schärpe steckte, und atmete erleichtert auf. Die Vergangenheit war eine rein persönliche Angelegenheit, und Hawkwood zog es eindeutig vor, anonym zu bleiben. Und Fitzhugh musste sich damit abfinden, nur einen Teil der Geschichte zu kennen.
    Lawrence strich mit dem Daumen über den Uhrendeckel und dachte: Das zumindest bin ich Hawkwood schuldig.
     
    Langsam füllten sich die Straßen mit abendlichen Flaneuren, als sich Hawkwood auf den Weg zur Bow Street machte. Theaterbesucher versammelten sich unter dem Portikus des Richmond Theatre, während andere zum Lyceum und dem Aldwych unterwegs waren. Imbissstuben, auffällig dekorierte Wirtshäuser, Bordelle und Tavernen im und um den Covent Garden waren bereits berstend voll. Dandys, Zuhälter und Prostituierte mischten sich unter die Müßiggänger. Pferdekutschen bahnten sich lärmend ihren Weg durch das Gedränge, und von irgendwoher tönte die jaulende Melodie eines Leierkastens.
    Bow Street Nr. 4 war ein schmales, fünfstöckiges Gebäude mit unauffälliger Fassade. Bis auf das zusätzliche Stockwerk unterschied es sich kaum von den angrenzenden Gebäuden. Dem Raum im rückwärtigen Teil des Erdgeschosses verdankte dieses Gebäude jedoch seinen Namen. Für die Beschäftigten war es schlicht »der Laden«, während es bei den Stadtbewohnern als das »Amt« bekannt war.
    Hawkwood drängte sich durch die Hand voll Müßiggänger auf der Eingangstreppe, trat durch die offene Tür und folgte dem schmalen Korridor zur

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