Der Rattenfänger
haben, sind diese im Augenblick irrelevant, denn auch wenn mir ein anderer Mann zur Verfügung gestanden hätte, wäre mir nichts anderes übrig geblieben, als Ihnen den Auftrag zu erteilen, weil Sie mein einziger Mitarbeiter sind, der französisch spricht.«
Jetzt runzelte Hawkwood erstaunt die Stirn.
Der Oberste Richter lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
»Wie Sie vielleicht wissen oder auch nicht, hat sich Lord Mandrake einen gewissen Ruf als Wohltäter für die weniger Begünstigten unserer Gesellschaft erworben. Er kümmert sich um Waisen und Witwen, die der Gemeinde zur Last fallen, um Kriegsveteranen und andere Bedürftige. Seine guten Werke beschränken sich jedoch nicht allein auf unser Heimatland, sondern sie reichen über die nationalen Grenzen hinaus.«
Hawkwood bemühte sich vergeblich, Interesse an diesem Thema zu heucheln.
»Ich spreche von Emigranten, Hawkwood. Und einer der glühendsten Kämpfer für die Monarchie ist der Comte d’Artois.«
Hawkwood kannte die Geschichte. Der Comte d’Artois, der Bruder Louis XVIII., des Königs von Frankreich, war vor der Guillotine nach England geflohen und hatte sich dort als Führer der Exilfranzosen etabliert. Mit den Geldern britischer Sympathisanten hatten d’Artois und seine Landsleute militärische Ausbildungslager in Romsey, an der Südküste Englands, eingerichtet, und bereiteten dort einen möglichen Sturz Kaiser Napoleons vor.
»Wie mir mitgeteilt wurde, will Lord Mandrake mit diesem Ball heute Abend die Verbundenheit Britanniens mit der legitimen Bourbonen-Regierung betonen. Mehrere Mitglieder des inneren Kreises um den Comte werden zugegen sein. Daher die Anforderung eines französisch sprechenden Gendarmen. Ich muss Sie wohl nicht daran erinnern«, fügte Read streng hinzu, »dass von Ihnen ein tadelloses Benehmen erwartet wird.«
Dann kritzelte der Oberste Richter etwas auf eine Karte. »Hier ist die Adresse. Begeben Sie sich unverzüglich dorthin.«
Mandrake House an der Ecke St. James’s Square strahlte trotz der frühen Abendstunde bereits im Glanz der Lichter wie ein Kronleuchter. Nachdem sich Hawkwood bei Lord Mandrakes Sekretär ausgewiesen hatte, beobachtete er amüsiert die hektisch umhereilenden Dienstboten. Bald würden die ersten Gäste eintreffen und die Reihe der Kutschen bis zur Pall Mall und darüber hinaus reichen. Dieser festliche Anlass gebot es, dass sich Mandrake House in seiner ganzen Pracht präsentierte.
Der Sekretär kam zurück und sagte: »Seine Lordschaft erwartet Sie in der Bibliothek.«
Hawkwood war Lord Mandrake noch nie begegnet, aber er erfasste sofort, wer von den beiden Männern in dem behaglich eingerichteten Raum sein Auftraggeber war. Der große, rundliche Lord mit der Hakennase und den rot geäderten Wangen strahlte gleichermaßen Autorität wie Jovialität aus. Er begrüßte Hawkwood mit gutmütig-derber Herzlichkeit.
»Ah, Sie sind Reads Mann. Hawkwood, nicht wahr?«
Hawkwood bejahte und ließ den Blick über Lord Mandrakes Schulter zu dem zweiten Anwesenden, einem stämmigen Mann mit kurzem grauem Haar in formellem Abendanzug schweifen. Er stand am Kamin und blätterte im Licht eines Kandelabers in einem schmalen Lederbändchen: Essays von Montaigne. Die Wahl dieser Lektüre ließ Hawkwood vermuten, dass es sich bei diesem Herrn wohl um einen der bourbonischen Verbündeten Seiner Lordschaft handelte.
»Ausgezeichnet!«, sagte Mandrake, »hat Ihnen Richter Read erklärt, was von Ihnen erwartet wird?«
»Ja, Sir.«
»Großartig, großartig! Ich muss schon sagen, Hawkwood, mein Freund Belvedere war des Lobes voll und hat Sie einen verdammt guten Gendarm genannt. Sehr beruhigend. Nicht, dass wir mit einem ähnlich unerfreulichen Vorkommnis rechnen. Natürlich nicht«, scherzte Lord Mandrake, wandte sich um und deutete auf den Herrn am Kamin. »Ach übrigens, dieser Gentleman, der Comte de Rochefort, ist mein Gast. Er ist erst kürzlich vom Kontinent zu uns gekommen. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, hier heute Abend mehrere seiner Landsmänner mit ihren Gattinnen begrüßen zu dürfen.« Dann fügte Lord Mandrake mit gesenkter Stimme hinzu: »Leider sind die Englischkenntnisse des Comte erbärmlich, obwohl er mir versichert, dass er unsere Sprache besser versteht als spricht. Ich nehme an, Sie sprechen Französisch?«, wollte Mandrake wissen und hob fragend die Brauen.
Wieder bejahte Hawkwood.
»Fabelhaft!« Lord Mandrake strahlte vor Freude, wandte sich dann seinem Gast am
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