Der Rattenfänger
unwillkürlich der Vergleich mit bunt gefiederten Vögeln in einer Voliere auf.
Sogar die Dienstboten ergänzten dieses prachtvolle Bild. Die Livreen der Perücke tragenden Lakaien waren derart üppig mit goldenen Litzen und Borten besetzt, dass sie kaum von den Generälen zu unterscheiden waren. Außerdem waren viele höchste Würdenträger und Angehörige des Adelsstandes vertreten.
Obwohl sich Hawkwood unauffällig im Hintergrund hielt, entging ihm nicht, dass der Ball ein Riesenerfolg war. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass kaum eine Meile entfernt ganze Familien in stockfinsteren, rattenverseuchten Elendsvierteln dahinvegetierten oder an Krankheiten und Hunger starben. Und was den Krieg gegen Frankreich betraf, so hätte dieser trotz der übermächtigen Präsenz des Militärs genauso gut auf dem Mond stattfinden können, so wenig Bedeutung hatte er für den Verlauf der Festlichkeiten.
Während sich Lord Mandrakes Gäste in den taghell beleuchteten Sälen amüsierten und an üppig gedeckten Tafeln dinierten, starben britische Soldaten in Spanien. Hawkwood verabscheute nicht den Reichtum dieser privilegierten Gesellschaft, sondern deren Gleichgültigkeit.
Am späten Abend, nachdem die meisten Gäste ausgiebig gegessen und getrunken hatten, lockerte sich die Atmosphäre. In der Bibliothek, ein während des Festes ausschließlich männliches Revier, wurde bei beißendem Zigarrenqualm dem Glücksspiel gefrönt. Die Damen hatten sich in die Salons zurückgezogen und diskutierten diskret über die Vorzüge der jüngeren und besser aussehenden männlichen Gäste.
Gestärkt mit einer ordentlichen Portion kaltem Roastbeef und einem Glas roten Bordeaux aus Lord Mandrakes gut gefülltem Weinkeller, serviert von einer sehr freundlichen und wohl geformten Küchenmagd, begann Hawkwood seine Patrouille durch die langen Gänge. Am Ende eines Gangs tauchte vor ihm plötzlich ein junges, albern kicherndes Pärchen auf. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. Während der Mann Hawkwood nicht beachtete, schenkte ihm das Mädchen im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick. Sie war sehr hübsch, und die weiße Feder in ihrem Haar wippte bei jedem Schritt. Wahrscheinlich waren die beiden auf der Suche nach einer verborgenen Nische, in der sie, den scharfen Blicken der Anstandsdame entflohen, Zärtlichkeiten austauschen konnten. Das kecke Funkeln in den Augen des Mädchens ließ Hawkwood vermuten, dass die junge Dame nicht zum ersten Mal ihrer strengen Aufsicht entkommen war. Dieser Gedanke amüsierte Hawkwood, und gleichzeitig beneidete er die beiden um ihre Jugend und Unverfrorenheit.
Während der Rundgänge hatten mehrere Damen Hawkwoods Aufmerksamkeit erregt, obwohl sie ihn nur mit flüchtigen und doch erstaunlich abschätzigen Blicken bedacht hatten. Hinter kurz gesenkten Fächern tauchten bewundernde, einladende Augen und Lippen auf, ehe die Gesichter wieder in der Anonymität verschwanden. Hawkwood war zwar nicht unempfänglich für die offen zur Schau gestellten Reize dieser Damen, doch die Arbeit kommt vor dem Vergnügen, ermahnte er sich. Meistens jedenfalls.
Zweimal im Verlauf des Abends hatte er in der Menge den Comte de Rochefort entdeckt. Einmal am anderen Ende des Saals, wo der Comte mit einem stattlichen Mann in Generalsuniform sprach. Und beim zweiten Mal hatte er einen Blick de Rocheforts aufgefangen, und der Ausdruck in dessen blauen Augen hatte ihn auf seltsame Weise beunruhigt. Ihre Blicke waren sich nur für ein paar Sekunden begegnet, dann hatte der Comte den Kopf abgewandt.
Vor allem in den schmalen Gängen zu den Unterkünften war die Luft derart schwülwarm und drückend, dass Hawkwood Platzangst befiel. Um einen klaren Kopf zu bekommen, ging er die Hintertreppe hinunter und auf die Terrasse mit Blick über den Green Park hinaus.
Eine von Efeu überrankte Mauer trennte Haus und Garten von der weiten Grünfläche, doch sie war derart geschickt hinter Bäumen und Sträuchern verborgen, dass man den Eindruck hatte, der Garten reiche über seine tatsächlichen Grenzen hinaus und sei der Park eines weitläufigen Landsitzes.
Die Familie Mandrake war immer in der Lage gewesen, sich das Beste von allem leisten zu können, auch hinsichtlich Architektur und Landschaftsgestaltung. Zur Freude des Betrachters war viel Sorgfalt für die Anlage dieses Gartens aufgewendet worden: Rasenflächen und terrassenförmig angelegte, von Rosen überrankte Blumenbeete wurden durch Kieswege miteinander verbunden oder waren von
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