Der Rattenfänger
Bedürfnis?«
»Du hältst dich wohl für verdammt schlau, was, Jago?«, stieß Scully mit wildem Blick hervor. »Dieser Scheißkerl ist ein Runner. Er hat hier nichts verloren. Weißt du eigentlich, wie viele von uns er schon hopsgenommen hat?«
»Kann ich nicht auf Anhieb sagen«, entgegnete Jago. »Aber jeder, der blöd genug ist, sich erwischen zu lassen, hat es wohl verdient. Willst du deshalb diese Idioten hinter ihm herschicken? Damit sie ihm eine Abreibung verpassen? Die Drecksarbeit überlässt du wohl lieber anderen, wie? Vielleicht hätte ich deine Speichellecker nicht zurückhalten sollen. Ihnen wäre eine heilsame Lehre erteilt worden.«
»Wir wären schon mit ihm fertig geworden«, prahlte Sparrow, der schmächtigere von beiden. »Mit links.«
Jago betrachtete Sparrow mitleidig. »Dass ich nicht lache! Ihr hättet keine Chance gehabt. Glaubt mir, ich habe euch einen Gefallen getan.«
»Zwei gegen einen, pah!«, höhnte Scully.
Jago versteifte sich. »Ja, aber lass dir was über diesen einen erzählen, Ahle. Er war Soldat, ein Offizier im 95. Rifles Regiment. Von denen hast du doch schon gehört, oder? Das härteste Regiment der ganzen verdammten Armee. Er hat mehr Männer getötet als du Halbe Bier geschluckt hast. Und er war der beste Offizier, unter dem ich je gedient habe. Hast du die Narbe unter seinem Auge gesehen? Die hat er vom Säbel eines französischen Husars. Der Hieb hat eigentlich mir gegolten, aber er ist dazwischengegangen. Das allein macht ihn zu einem Mann, der du nie sein wirst, Ahle. Solange er sich also unter diesem Dach aufhält, steht er unter meinem Schutz. Hast du das kapiert, Ahle? Und jeder hier, der anders darüber denkt, kriegt’s mit mir zu tun!« Jago umfasste mit der rechten Hand seinen Knüppel aus Schlehdornholz. » Ist das klar? «
Die Männer am Tisch rutschten unruhig auf ihren Stühlen herum. Alle, bis auf Scully, dessen Augen schwarz und hart wie Stein wurden. Der kahle Schädel und das pockennarbige Gesicht verliehen ihm ein furchterregendes Aussehen. Er schnellte so abrupt hoch, dass sein Stuhl auf den Boden krachte. Durch die plötzliche Bewegung und den Lärm aufgeschreckt, sprang der scheckige Hund auf und knurrte bösartig. Scully löste die lederne Hundeleine vom Tischbein.
»Eines Tages, Jago, werden wir unter vier Augen ausmachen, wer der König im Schloss ist.« Dann riss Scully hart an der Leine, wandte sich ab und ging zu dem Hunde-Pit in der Schänke hinunter.
Jago sah ihm nach und murmelte: »Jederzeit, Ahle. Jederzeit.«
6
Ich schicke Sie, Hawkwood, weil sonst niemand zur Verfügung steht«, sagte James Read und sah von seinem Schreibtisch auf. »Außerdem dachte ich, Sie würden sich über die Abwechslung freuen.«
Hawkwood erkannte an der entschlossenen Miene des Obersten Richters, dass es zwecklos war, ihm zu widersprechen.
Die Abwechslung, wie Read sie genannt hatte, war ein Ball im Stadtpalais von Lord Mandrake. Bei derartigen Festen wurde gewöhnlich ein Gendarm zum Schutz der Gäste vor Dieben und anderen Übeltätern angefordert.
Lord Mandrake war ein angesehenes Mitglied der vornehmen Gesellschaft mit Ländereien in Cheshire und in Nord- und Südamerika. Sein Vermögen hatte er im Handels- und Bankengeschäft gemacht. Er war ein Vertrauter mehrerer Parlamentsmitglieder und ein Freund des Außenministers. Es hieß sogar, der Prinzregent werde den Gastgeber mit seiner Anwesenheit beehren, instruierte Read Hawkwood.
Worauf dieser innerlich stöhnte. Zutiefst hasste er derartige Veranstaltungen, zu denen er regelmäßig abkommandiert wurde. Er hätte lieber dem Angriff eines Trupps französischer Lanzenreiter getrotzt.
»Was ist mit Redfern?«
»Redfern ist in Manchester«, antwortete Read, diesmal ohne aufzusehen. »Er ermittelt in einem Fall, bei dem es um Fälschungen in großem Stil geht. Mit seiner Rückkehr ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.«
»Und Lightfoot?«
»Ist zum Schutz eines Goldtransports der Bank von England abgestellt worden«, erklärte James Read. Mit übertriebener Bedächtigkeit legte er die Feder auf seinen Schreibtisch und seufzte hörbar, bevor er fortfuhr: »Hawkwood, Sie wissen doch genau, wie viele Gendarmen mir zur Verfügung stehen. Herzlich wenige. Genau sieben, mit Ihnen. Und obwohl ich nicht verpflichtet bin, Ihnen Einzelheiten über die Fälle zu verraten, die Ihre Kollegen bearbeiten, will ich es tun, wenn es Sie denn beruhigt.
Über Redfern und Lightfoot haben wir schon gesprochen.
Weitere Kostenlose Bücher