Der Rattenfänger
Signal hin drehen Sie sich um und schießen. Ist das klar?«
Beide Männer nickten. Hawkwood spürte, dass seine Kehle vollkommen ausgetrocknet war, und er fragte sich, ob sein Gegner unter ähnlichen Beschwerden und Magenschmerzen litt.
Mit denselben Gefühlen war er im Duell gegen Delancey angetreten. Ein kaltes Prickeln war ihm über den Rücken gelaufen, und seine Achselhöhlen waren schweißnass gewesen. Ein Zeichen lähmender, quälender Angst vor dem Tod. Oder noch schlimmer, derart schwer verletzt zu werden, dass er wie viele andere Krüppel ein Dasein als Bettler auf den Straßen fristen müsste.
Da ist mir der Tod lieber, dachte Hawkwood. Wenigstens werde ich nicht sterben, ohne den Namen dieser schönen Lady erfahren zu haben. Nur ihretwegen riskiere ich jetzt mein Leben.
Catherine de Varesne war nicht mehr unter den Gästen gewesen, als Hawkwood und Major Lawrence aus dem Garten ins Herrenhaus zurückgekehrt waren. Zweifelsohne hatte sie es vorgezogen, eine weitere Begegnung mit John Rutherford und dessen Freunden zu vermeiden. Der Major hatte es dann übernommen, sich diskret nach der jungen Lady zu erkundigen.
Sie war keine Französin, wie Hawkwood zunächst angenommen hatte, sondern die Tochter eines Franzosen und einer Portugiesin. Ihr Vater, der Marquis de Varesne, war Minister am Hofe Louis VIII. gewesen und war wie hunderte andere Aristokraten mit der Guillotine hingerichtet worden. Von größerer Bedeutung war jedoch die Tatsache, dass er ein enger Vertrauter des Comte d’Artois gewesen war. Da der Comte zurzeit im Exil in England lebte, erklärte das wohl Catherine de Varesnes Anwesenheit auf dem Ball.
»Ich muss schon sagen, mein Freund«, hatte der Major bemerkt. »Sie haben einen exzellenten Geschmack, was Frauen betrifft. Aber die Art, wie Sie ihre Bekanntschaft machen, lässt doch sehr zu wünschen übrig.«
In dem Moment riss Nevilles Stimme Hawkwood aus seinen Tagträumen.
»Auf die Plätze, Gentlemen«, rief er und dann: »Los!«
Hawkwood warf einen Blick nach rechts und sah, dass der Major die Lippen bewegte und lautlos zu Nevilles monotoner Stimme die Schritte mitzählte.
»Zwei … drei … vier …«
John Rutherford schritt auf dem weichen, feuchten Gras nach Norden, Hawkwood nach Süden. So hatte keiner der beiden Männer den Vorteil, die Sonne im Rücken zu haben.
»Fünf … sechs … sieben …«
Hawkwood umfasste den Pistolengriff fester und spürte, wie ihm Schweißtropfen in den Nacken rannen.
»Elf …« Dann eine Pause, die eine Ewigkeit zu dauern schien.
»Zwölf … Gentlemen, Sie dürfen sich umdrehen und schießen.«
Hawkwood wirbelte um die eigene Achse und sah einen grellen Blitz, als sich das Pulver in Rutherfords Pistole entzündete. Erstaunlich laut hallte der Schuss in der frischen Morgenluft über die Lichtung.
Hawkwood spürte einen heftigen Schmerz links im Brustkorb, als sich die Kugel wie ein brandheißer Schürhaken durch das Fleisch bohrte.
Als sich der Pulverdampf verzogen hatte, bemerkte Rutherford, starr vor Schreck, dass sein Gegner aufrecht dastand und seine Pistole noch nicht abgefeuert hatte. Eine Sekunde verging. Zwei, drei. Hawkwood sah, dass Rutherford aschfahl wurde. Ganz langsam hob er seinen rechten Arm und zuckte zusammen, als sein Hemd die Wunde berührte. Dann zielte er sorgfältig und schoss.
John Rutherford drehte sich ganz langsam um die eigene Achse, die Pistole fiel ihm aus der Hand, und er sank zu Boden. Jetzt totenblass umklammerte er mit der linken Hand die Wunde in seinem rechten Arm und starrte Hawkwood an, als könnte er nicht begreifen, dass er getroffen wurde. Hawkwood stand mit gespreizten Beinen da und blickte kurz zu seinem geschlagenen Gegner hinüber, ehe er langsam die Pistole sinken ließ. Geistesabwesend drückte er die Hand auf seinen Bauch und sah dann, dass sie blutverschmiert war.
Major Lawrence gewann als Erster die Fassung wieder und lief zu Hawkwood. Erschrocken rief er: »Großer Gott! Sie sind ja verletzt! Lassen Sie mich sehen!« Beim Anblick der Wunde schnappte er nach Luft und sah sich dann um. »Verdammt! Wo, zum Teufel, bleibt dieser Bauchaufschneider?«
Als Lawrence Hawkwoods Rippen betastete, stöhnte der Runner. »Ist schon gut, Major«, sagte er. »Es ist nur eine Fleischwunde. Ich werd’s überleben. Der Junge braucht den Arzt dringender als ich.«
Dann ging er langsam, den noch immer aufgeregten und besorgten Major an seiner Seite, zu Rutherford. Giles Campbell, sein Sekundant,
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