Der Rattenfänger
ihren Bann gezogen. Viele Gäste kamen allein wegen der bemerkenswert schönen Wirtin und nicht nur wegen der guten Küche in das gemütlich eingerichtete Gasthaus. Maddie Teague führte ihre Wirtschaft mit einer Mischung aus Strenge, Tüchtigkeit und Anmut. Nur sie hatte das Blackbird zu einem der angesehensten Gasthäuser des Viertels gemacht.
Beim Anblick der dampfenden duftenden Speisen, die Maddie und ihre Mädchen auftrugen, fiel Hawkwood ein, dass er schon eine ganze Weile nichts mehr gegessen hatte. Ein spätes Frühstück käme sehr gelegen. Er bestellte Eier mit Schinken und Käse.
»Und Kaffee dazu, Maddie, wenn’s nicht zu viel Mühe macht.«
Maddie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. »Für Sie doch gern, Officer Hawkwood. Nehmen Sie schon mal Platz.« Dann musterte sie Hawkwood von Kopf bis Fuß und sagte: »Sie sehen mir ganz so aus, als könnten Sie eine anständige Mahlzeit vertragen. War’s eine anstrengende Nacht?«
Hawkwood lächelte gezwungen. »Wie heißt es so schön, Maddie? Das Böse schläft nie.«
»Ach, tatsächlich?«, meinte Maddie ironisch. »Und deswegen soll ich Ihr Hemd wohl zur Näherin bringen lassen, wie? Nachdem das Blut herausgewaschen wurde, versteht sich«, setzte sie hinzu, machte auf dem Absatz kehrt und trat in die Küche.
Wohlgesättigt trank Hawkwood eine Stunde später seine zweite Tasse Kaffee und nahm den Chronicle vom Nebentisch. Berichte über den Krieg waren auf die zweite Seite verbannt worden, während das Titelblatt von zwei Schlagzeilen beherrscht wurde. Ein Artikel war der Revolte französischer Gefangener auf einem Schiff gewidmet, das in Woolwich vor Anker lag. In dem anderen Artikel ging es um den bevorstehenden Boxkampf im Five Courts, ein um Klassen besserer Kampf als die Prügelei im Hof des Blind Fiddler. Einer der Kämpfer stammte aus der Schule von Bill Richmond, einem Exsklaven und späteren Faustkämpfer. Im Dezember hatte er gegen Tom Cribb verloren, doch es hieß, Richmond trainiere einen neuen Boxer, der über das Potenzial verfüge, Cribb schlagen zu können. Der Kampf im Five Courts solle ein Test für die Qualitäten seines Schützlings sein. Hawkwood überflog den Artikel nur, denn er konnte sich nicht richtig konzentrieren. Ungeachtet des Stimmengewirrs um ihn herum kreisten seine Gedanken immer wieder um die ziemlich außergewöhnlichen Ereignisse am frühen Morgen.
Er hatte nicht nur das Duell überlebt, sondern die letzten drei Stunden mit einer der schönsten und verführerischsten Frauen verbracht, die er je kennen gelernt hatte. Wäre da nicht der bohrende Schmerz in seiner Wunde unterhalb der Rippen und das Brennen ihrer Kratzspuren auf seinen Schultern gewesen, hätte er fast geglaubt, sich die ganze Episode nur eingebildet zu haben.
Wieder kehrten seine Gedanken zu den Stunden zurück, nachdem sie ihr Verlangen gestillt hatten. Catherine de Varesne hatte mit gekreuzten Beinen, einen seidenen Morgenrock über den Schultern, auf dem Bett gesessen und ihm ihre Lebensgeschichte erzählt. »Ich war sechs, als mein Vater unter der Guillotine starb.«
Der Marquis de Varesne hatte geahnt, welches Schicksal ihn erwartete, und seiner Frau und seiner Tochter die Flucht aus Frankreich ermöglicht. Der Marquis war zunächst in der Absicht zurückgeblieben, keinen Verdacht zu wecken, und wollte später das Land verlassen. Das Komitee für Öffentliche Sicherheit hatte seinen Plan jedoch vereitelt und den Marquis verhaften und hinrichten lassen.
»Wir wurden über die Pyrenäen nach Spanien und dann nach Portugal zur Familie meiner Mutter gebracht«, hatte Catherine, die Fäuste geballt und mit Tränen in den Augen, erzählt. »Meine Mutter hat den Tod meines Vaters nie überwunden und ist ein Jahr später gestorben. Mir wurde gesagt, sie sei an gebrochenem Herzen gestorben. Was ich mir gut vorstellen kann, denn sie liebte meinen Vater über alles. Er war ein gütiger, sanfter Mann, der sein Land liebte. Ich bin zusammen mit meinen Cousins bei meiner Tante aufgewachsen. Eine englische Gouvernante hat sich um uns gekümmert, so habe ich Englisch gelernt. Ich hatte eine glückliche Kindheit«, hatte Catherine hinzugefügt, ehe die Erinnerung wie ein Schatten der Trauer über ihr Gesicht glitt. »Doch nicht einmal dort waren wir in Sicherheit.«
Weil Bonaparte auch die Pyrenäenhalbinsel besetzte, war die Familie wieder auseinander gerissen worden. Hawkwood erinnerte sich, dass beim ersten Donner französischer Kanonen das
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